1888, Briefe 969–1231a
981. An Elisabeth Förster in Asuncion (Entwurf)
<Nizza, vermutlich Ende Januar 1888>
Liebe Schw<ester>, Dein eben erhaltener Brief legt so unverkenntlich von einem so guten Willen in Hinsicht auf mich Zeugniß ab, daß ich mir von Neuem vornehme, auch meinerseits in diesem etwas extremen Falle an Nichts fehlen zu lassen. Zuletzt bin ich viell<eicht> auf nichts mehr durch mein ganzes Leben eingeschult; im Grunde — — —
Ich habe mich nie darum bemüht, von Kindesbeinen an, bei M<enschen>, mit denen ich umgehe, meine eignen Ansichten und Wünschbarkeiten anzupflanzen noch weniger habe ich sie bei ihnen vorausgesetzt. Es that mir im Grunde zu wohl wenigstens von Zeit zu Zeit von mir selber loszukommen, durch irgend einen Verkehr. Glücklicher Weise fehlt es mir nicht völlig an einem solchen Verkehre: ich wünsche mich nicht verdoppelt oder verhundertfacht.
Diese an sich bedenkliche Sache ist freilich im Verlauf meines Lebens auf den Gipfel gekommen, daß fast alle mir bekannten und befreundeten M<enschen> nachgerade in das mir fremdeste Parteilager abgeschwenkt sind (z. B. auch W<agner> dessen letzte 6 Jahre ich als eine ungeheuerliche Entartung empfunden habe) Wo sie verehren, verachte ich. Seitdem agacirt mich der Umgang mit „alten Bekannten“. Die unbekanntesten gleichgültigsten M<enschen> sind mir recht: das ist der Vorzug z. B. von Nizza. Auch bin ich hoffnungslos in diesem Punkte, wie als ob ich es je anders haben würde. Wer kann mir nur ein Tausendstel von Leidenschaft und Leiden entgegenbringen, um etwas von dem zu errathen, was ich will? Oder muß?
Thatsächlich empfinde ich zwischen uns nicht einmal einen Gegensatz sondern bloß die vollkommene Fremdheit (— denn Gegensätzlichkeit wäre etwas ganz Artiges und Einfaches — ich liebe Gegensätzlichkeit.)
Ich wünschte, nicht in dem Maaße durch ein — — —
Das sehr innerliche und schmerzhaft-vereinsamte Leben, das ich bisher gelebt habe, hat nachgerade eine Vereinsamung mit sich gebracht, gegen die es kein Heilmittel mehr giebt. Mein liebster Trost ist immer noch der, der Wenigen zu gedenken, die es unter ähnlichen Verhältnissen ausgehalten haben, ohne zu zerbrechen und eine hohe und gütige Seele dabei sich bewahrt haben.