1888, Briefe 969–1231a
1039. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Turin, den 27. Mai 1888.
Meine liebe Mutter,
Du hast mir wirklich eine außerordentliche Freude mit der Abschrift des Lama-Briefs gemacht: ich habe ihn mindestens sechs Mal gelesen und mich jedes Mal von Neuem daran erbaut. Nachdem es so weit ist, darf man eigentlich Vertrauen haben: selbst ich fange an, der Sache zu vertrauen…
Ich war ein Paar Tage nicht wohl, sonst hättest Du schon eher ein Wort des Dankes bekommen. Meine Zeit hierselbst geht nun auch zu Ende. Ich habe noch eine Woche vor mir: am 5ten Juni will ich abreisen, am 6ten, wenn meine Gesundheit mir keinen Streich spielt, in Sils-Maria eintreffen. Man bekommt jetzt direkte Billets von Turin bis Chiavenna: das ist eine große Erleichterung für Dein altes Geschöpf.
Nun möchte ich dies Jahr gleich von Anfang an da oben vernünftig sein und nicht erst wieder alle möglichen thörichten Versuche machen. Damit will ich sagen, daß ich Dich bitte, meine liebe Mutter, mir von jenem delikaten Schinken, der das letzte Jahr so sehr den Beifall Deines Sohnes hatte, umgehend ein gutes Quantum zuzusenden (Wie nennt ihr ihn? Lachsschinken? Weißt Du, ganz zart und ohne Fett)
Ich will allernächstens ein Paar Worte an Herrn Kürbitz richten, damit er Dir in meinem Namen etwas Geld zu Gebote stellt, für diese und andre Bedürfnisse. Zum Beispiel auch zur Bezahlung der Photographie. —
Mit den Kleidern scheine ich wirklich wohlgefahren zu sein. Es ist ein eleganter Anzug, der vorzüglich sitzt. Ich habe mir vorgenommen, etwas wieder auf mich zu halten und der Nachlässigkeit im Aeußern ein Ziel zu setzen. Das scheint mir auch ein Zeichen eines gewissen Fortschrittes in der Besserung meiner Gesundheit? So lange man caput ist, macht man sich nichts draus, ob man auch so aussieht…
Die Vorträge meines Kopenhagener Verehrers sind glänzend zu Ende gekommen, mit einer großen Ovation, die er in meinem Namen angenommen. Er schreibt mir, daß „mein Name jetzt in allen intelligenten Kreisen Kopenhagens populär und in ganz Skandinavien bekannt sei“. (So weit habe ich’s im Vaterlande freilich noch nicht gebracht!)
Gestern machte mir der hiesige Philosoph, Professor Pasquale D’Ercole einen sehr artigen Besuch. Derselbe, jetzt Dekan der philosophischen Fakultät der hiesigen Universität, hatte in der Buchhandlung Löscher von meinem Hiersein gehört.
Eine amerikanische Zeitschrift in New-York hat mir einen Essai über meine Schriften in Aussicht gestellt.
Eben traf ein drei Bogen langer äußerst interessanter Brief des Dr. Fuchs ein. —
Herr Köselitz wird im nächsten Monate ebenfalls Italien verlassen und zunächst zu seinen Eltern gehn.
Daß Du die Briefe des Herrn Busse abschreiben willst, ist vielleicht zu viel Ehre. Wollen wir’s nicht machen, wie bisher und einfach still sein? — Oder sind sie hübsch? — Mich quälen sonst solche Naturen, denen ich absolut nicht zu helfen weiß —
Es grüßt und umarmt Dich
Dein alter Philosoph
Adresse: Sils-Maria, Oberengadin, Schweiz.