1888, Briefe 969–1231a
1227. An Heinrich Köselitz in Berlin (Entwurf)
<Turin,> Sonntag — Sonntag <30 Dzpar excellence (obwohl es trübe ist —)
Alter Freund,
unter meinem Fenster spielt, ganz als ob ich bereits princeps Taurinorum, Caesar Caesarum und dergleichen wäre, in aller Macht das Municipal-Orchester von Turin z. B. eben noch rhapsodie hongroise ich erkenne das grandiose Cleopatra-Werk von Mancinelli. Vorhin gieng ich an der mole Antonelliana vorbei, dem genialsten Bauwerk, das vielleicht gebaut worden, — merkwürdig, es hat noch keinen Namen — aus einem absoluten Höhentrieb heraus, — erinnert an gar nichts außer an meinen Zarathustra. Ich habe es Ecce homo getauft und im Geiste einen ungeheuren freien Raum herum gestellt. — Dann gieng ich nach meinem palazzo, jetzt palazzo Madama — die madama dazu schaffen wir an —: kann vollkommen bleiben wie er ist, bei weitem die malerischeste Art von großgedachtem Schloß — namentlich im Treppenhaus. Dann bekam ich ein Huldigungsschreiben von meinem Dichter Auguste Strindberg, einem veritablen Genie zu Ehren meiner „grandiosissime Génealogie de la Morale“, mit seinem Ausdruck de sa profonde admiration. Dann schrieb ich, in einem heroisch-aristophanischen Übermuth eine Proklamation an die europäischen Höfe zu einer Vernichtung des Hauses Hohenzollern, dieser scharlachnen Idioten und Verbrecher-Rasse seit mehr als 100 Jahren verfügte dabei über den Thron von Frankreich auch über Elsass, indem ich Victor Buonaparte, den Bruder unsrer Laetitia zum Kaiser machte und meinen ausgezeichneten Ms. Bourdeau, Chef-Redakteur des Journal de Débats und der Revue des deux Mondes zum ambassadeur an meinem Hofe ernannte, — aß nachher bei meinem Koch zu Mittag (— er heißt nicht umsonst de la Pace —) und schreibe nunmehr an meinen Freund und allerhöchst vollkommenen maëstro einen Brief, um ihm Theater, Orchester und alle Art camera in Aussicht zu stellen… Auch habe ich bereits, ihm zu Liebe, die schönste Seite über Musik geschrieben die vielleicht geschrieben worden ist — und zuletzt nicht ihm zu Liebe, vielmehr Jemandem — der, die, das — zu Liebe, der — die — das die Seite einmal lesen soll…
Friedrich Nietzsche
N.
Ich war noch beim Begräbniß des uralten Antonelli zugegen, diesen November. — Er lebte genau so lange, bis Ecce homo, das Buch, fertig war. — Das Buch und der Mensch dazu…
Ich habe gestern mein non plus ultra in die Druckerei geschickt, Ruhm und Ewigkeit betitelt, jenseits aller sieben Himmel gedichtet. Es macht den Schluß von Ecce homo. — Man stirbt daran, wenn man’s unvorbereitet liest…
Man wird deutsch an meinem Hofe sprechen: denn die höchsten Werke der M<ensch>h<eit> sind deutsch geschrieben…
Gymnastik und Pastilles Géraudel nehmen…
Damit ich Ihnen meine Hintergedanken nicht vorenthalte, schicke ich Ihnen einen Brief ab, den ich gestern für meinen maestro, Herrn Pietro Gasti schrieb — und der noch ein paar Tage warten darf… Ich vermache Ihnen diesen B<rief> zu jedem beliebigen Gebrauch
Wenn Sie mich bitten, bekommen Sie auch die Proklamation für das J<ournal> des Debats : sie genügt… Triple alliance — aber das ist ja nur eine Höflichkeit für mésalliance …