1888, Briefe 969–1231a
1098. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Sils den 30. August 1888
Meine liebe Mutter,
mein Wunsch ist, daß dieser Brief spätestens am 2. September in Deine Hände kommt, nicht gerade zur Sedanfeier, sondern weil an diesem Tage es zehn Jahre wird, daß Deine vortreffliche Alwine bei Dir ist. In unsrer Zeit, wo Alles zusammen und wieder auseinander läuft, ist ein solcher Zeitraum ein halbes Wunder; und es giebt wenig Dinge, um die Du mehr beneidet werden kannst (es müßte denn Dein Sohn sein —) Gerade bei Deiner Einsamkeit, wo Deine zwei Kinder über die ganze Erde zerstreut sind, brauchst Du, um wirklich bei Dir zu Hause zu sein, ein solches gutes und treues Wesen. Der Übelstand ist, daß Du nicht leicht einen Ersatz finden wirst, falls er einmal nöthig sein sollte. Bitte, sage Alwinen auch in meinem Namen meinen Dank und meine Anerkennung: ich denke, daß alles Gute auf dieser Erde seinen Lohn findet. —
Wir sind gerade hier mit einem herrlichen Wetter beschenkt und genießen reichlich, was wir durch lange Geduld verdient haben. Augenblicklich hat mein Hôtel die Auszeichnung, den über die Maaßen einflußreichen Herrn Bädecker aus Leipzig zu Gaste zu haben; seine Frau mit Töchterchen, sehr artig immer gegen mich, war den ganzen Sommer da. Ich bin wieder vollkommen in Thätigkeit, — hoffentlich geht es noch eine Weile, da eine gut und lange vorbereitete Arbeit, die diesen Sommer abgethan werden sollte, wörtlich „ins Wasser“ gefallen ist. Dies war die unersetzbare Einbuße von Seiten dieses entsetzlichen Sommers. —
Bis zum 15. September gedenke ich Stand zu halten. An diesem Tage Abreise, wieder nach Turin, das mir vom Frühling her bestens im Gedächtniß geblieben ist. Dort findet in der zweiten Hälfte des September eine ganz große Fürsten-Hochzeit statt, vom Prinzen Amedeo. Als Fest-Oper ist Tannhäuser gewählt (deutsch wohlverstanden, die Gesellschaft des Angelo Neumann —) Herr Köselitz ist bei seinen Freunden, Baron von Krause’s, auf deren Gütern in Hinterpommern, einer sehr liebenswürdigen Einladung folgend. Freund Seydlitz schrieb gestern, daß ihm der Kaiser von Japan einen artigen Dankesbrief für seine Verdienste um Ausbreitung des japanesischen Geschmacks durch seinen Botschafter überreicht habe. — Eine kleine Sendung wird noch nöthig sein: kein Zwieback, aber ein Schinken von gleicher Größe und Qualität, wie die letzten (die ich delikat finde) Dann bitte ich nochmals um ein Gros Sönneckens Rundschriftfeder Nr. 5, von wegen der Abreise nach dem Süden. Insgleichen suche mir doch einen unzerbrechbaren Kamm aus (etwas recht Feines!); es fehlt mir übrigens auch ein Staubkamm (eng, aber sehr scharf muß er sein —) — Mit dem Thee hatte ich meinen Spaaß. Diesen Sommer verfolgt mich der Souchong. Ich habe 4 Male Thee kommen lassen und immer anderen bestellt (weil Souchong zu schwach und im Geschmack nicht streng genug für mich ist) aber man hat mir 4 Mal Souchong geschickt! Zuletzt gar noch die Mutter! Was Deinem Sohn gut thut, ist ein feiner Congo (aber bestellt an einem Hauptgeschäft: die kleinen Händler unterscheiden selbst nicht die Sorten)
Mit dem herzlichsten Gruße
Dein altes Geschöpf