1888, Briefe 969–1231a
979. An Franziska Nietzsche in Naumburg (Entwurf)
<Nizza, 29. Januar 1888>
Lenbach
Deine Haus-Sorge
Köselitz: Gesundheit
kein Ort mehr, wo ich in D<eutschland> leben möchte: warten —
meine Gesundheit immer noch absolut abhängig vom hellen Himmel und der Trockenheit der Luft
ich habe jetzt seit 10 Jahren nicht einen Laut von ächter Sympathie gehört und lauter zu viel — — —
Ich bin so froh, daß ich wieder habe arbeiten können: oder anders ausgedrückt, daß mein Geist wieder den Muth hatte zu der Aufgabe, in deren Dienst ich bisher gelebt habe. Die Zeiten, wo dieser Muth fehlt, sind über die Maaßen schwer zu überwinden; und da, nach reichlichster Erfahrung geurtheilt, kein M<ensch> einen Begriff hat, worum es sich bei mir handelt und mit was für einer Last <ich> mir das Leben schwer gemacht habe, so weiß auch Niemand, womit man mich etwas <zu> erholen und ermuthigen vermöchte. Meine Versuche in dieser Hinsicht — im Grunde alle meine Reisen nach Deutschland seit 10 Jahren — sind mir ins Gegentheil umgeschlagen, als förmliche Niederlagen und Demüthigungen, deren Consequenz an meiner Gesundheit und leider auch an <meiner> Erinnerung ich immer erst spät losgeworden bin. Ich bin jetzt vorsichtiger… ich hoffe endlich dies absurde Bedürfniß, von den Mitmenschen etwas zu wollen, was sie mir absolut nicht geben könnten, — Erholung, Erquickung, Ermuthigung — losgeworden zu sein. Im Grunde ist es eine Tragödie; das Mißverhältniß ist zu groß geworden. Ich habe diesen Deutschen mitten in der Periode ihres geistigen Niedergangs Werke ersten Ranges gegeben, um deren willen die Nachwelt vielleicht diesem Zeitalter verzeihen wird, daß es dagewesen ist: habe ich auch nur ein Wort tiefen Dankes oder nur den Millionstel Theil der Ehre erfahren, auf den ich dafür Anspruch hätte?
Ihr habt alle keinen Glauben an mich — meine Mutter ebenso wenig wie meine Schwester
Ich wünsche durchaus, mich nicht wieder der Gefahr auszusetzen, in einem Augenblick, wo ich stolz darauf bin, etwas Unsterbliches gethan zu haben, beschimpft, beschmutzt, verhöhnt zu werden — Dergleichen vergißt man nie: <es> wurmt den wohlwollendsten Charakter.— —
Wer kommt denn neben mir in diesem Zeitalter in Betracht?.. Aber ich bin von aller Welt preisgegeben… <Ich> habe keine Lust, mir das zu Gemüth zu führen. Seit 10 Jahren wirkt jede Berührung mit dem deutschen Norden auf mich wie eine Niederlage: Du kannst Dir das nicht vorstellen, welchen Eindruck es auf mich gemacht hat, nach den fürchterlichsten Jahren der tiefsten Gesundheits-Erschütterung, nachdem ich das tiefste größte Werk des ganzen J<a>hr<hundert>s hervorgebracht hatte, so behandelt worden zu sein, wie ich jahrelang behandelt worden bin. Dergleichen vergißt man nicht: und so wie jetzt Alles steht, ist nichts mehr wieder gut zu machen.