1888, Briefe 969–1231a
1040. An Franz Overbeck in Basel
Turin, den 27. Mai 1888.
Lieber Freund,
ich mache mir das Vergnügen, Dir einen letztens eingetroffenen Brief aus Kopenhagen mitzutheilen, mit der Bitte, denselben irgendwann einmal, vielleicht nach Sils-Maria, an mich zurückzuaddressiren.
Übrigens steht Sils-Maria vor der Thür. Ich will am 5. Juni von hier abreisen und denke, wenn die Gesundheit mir nicht den gewohnten Streich spielt, am 6ten dort einzutreffen. Was mich einigermaßen muthig für die Reise stimmt, ist die neue Eisenbahn-Verfügung: man kann direkte Billets Torino-Chiavenna haben, — damit hat die schauderhafte kleine Misère des sechsmaligen Gepäckumschreibens ein Ende. —
Meine Gesundheit hat im Ganzen Stand gehalten. Ich bin während dieser 2 Monate in Turin 4 mal krank gewesen: ein mezzo termino, mit dem ich mich zufrieden geben will.
Heute morgen traf ein herrlicher drei Bogen langer Brief von Dr. Fuchs ein, der wieder von einer erstaunlichen Energie Zeugniß ablegt. Ihn begleitet ein großer Complex von Recensionen und Concert-Berichten aus der Feder dieses geistreichsten der jetzigen Musiker. Ich will mich in aller Ruhe daran erlaben.
Gestern hat mir der hiesige filosofo, der Prof. Pasquale d’Ercole einen sehr artigen Besuch gemacht; er hatte in der Buchhandlung Löscher von meinem Hiersein gehört. Derselbe ist jetzt Decan der philosophischen Fakultät. —
Das archivio storico in Florenz gedenkt in seiner letzten Publikation (ein Gesammtbericht über deutsche Geschichtslitteratur) mit Auszeichnung meiner allgemeinen Gedanken über Historie (2. Unz<eitgemäße> Betrachtung); die Abhandlung läuft darauf aus. Ich erzähle das Dir gerade, lieber Freund, weil Du der einzige bist, der mir bisjetzt ein Interesse an jenen Gedanken ausgedrückt hat. — Dir und Deiner lieben Frau mich herzlich empfehlend
Dein Nietzsche.
Der Brief aus New York, den Du so gütig warst, mir zu übersenden, enthielt das Versprechen eines englischen Essai über meine Schriften seitens einer der größten amerikan. Reviews.