1878, Briefe 675–789a
675. An Heinrich Köselitz in Basel (Widmung)
<Basel, 1. Januar 1878>
Diese Partitur wird fruchtbringender in Ihren Händen sein, mein lieber Freund Köselitz, als in den meinen: sie sehnt sich gewiss längst nach einem würdigeren Besitzer und Jünger der Kunst als ich es bin, im Fall etwas von der Seele des grossen Mannes, der sie mir gab, daran hängen geblieben ist. Was ich von Ihnen wünsche, wird wohl in der Hauptsache dasselbe sein, was Sie von Sich wünschen; genug dass ich Sie mir öfter Goethe-Faustisch also redend denke:
„— dieser Erdenkreis
„Gewährt noch Raum zu grossen Thaten.
„Erstaunenswürdiges soll gerathen,
„Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiss.“
Neujahr 1878
Treugesinnt
Ihr Freund und Lehrer
Friedrich Nietzsche
675a. An Paul Widemann in Basel (Widmung auf der Partitur der „Meistersinger von Nürnberg“)
<Basel,> Neujahr 1878
Dieses Werk, ursprünglich ein Geschenk Richard Wagner’s welches ich in Tribschen empfing, als ich 1869 dort mit ihm zum ersten Mal Weihnachten feierte, lege ich heute in die Hände des Herrn Paul Widemann, ebensowohl um ihm ein Zeichen meiner warmen und tiefen Hochschätzung zu geben, als um ein Unterpfand seiner Erinnerung an mich in seinem Besitz zu wissen. Möge der treffliche Freund sich dessen immer bewußt sein, daß ich treu in der Hoffnung auf sein Können und seine Kunst, treu im Glauben an seine große Kraft, Erfindungsgabe und Ausdauer bleiben werde. Ja, einst kommt der Tag, wo alles Erhoffte und Geglaubte sich erfüllt hat!
Friedrich Nietzsche
676. An Richard und Cosima Wagner in Bayreuth (Entwurf)
<Basel, Anfang 1878>
R<ichard> W<agner> und Fr<au>
Indem ich — übersende, lege ich mein Geheimniß vertrauensvoll in Ihre und Ihrer edlen Gem<ahlin> Hände und nehme an daß es nunmehr auch Ihr Geh<eimnis> sei. Dies Buch ist von mir: ich habe meine innerste Empfind<ung> über menschliche Dinge darin ans Licht gebracht und zum ersten Male die Peripherie meines eigenen Denkens umlaufen. In Zeiten, welche voller Parox<ismus> und Qualen waren, war dies Buch mein Trostmittel, welches nicht versagte, wo alle anderen Trostm<ittel> versagten. Vielleicht lebe ich noch, weil ich seiner fähig war.
Es mußte <ein> Pseudon<ym> gewählt werden, einmal weil ich die Wirkung meiner früheren Schriften nicht stören mochte, sodann weil die öffentl<iche> und private Beschmutzung der Würde meiner Person damit verhindert werden soll (weil meine Gesundheit dergleichen nicht mehr aushält) endlich und namentlich, weil ich eine sachliche Diskussion möglich machen wollte, an der auch meine so intelligenten Freunde aller Art theilnehmen können, ohne daß ein Zartgefühl ihnen wie bisher dabei im Wege stand. Niemand will gegen meinen Namen schreiben und reden. Aber ich weiß keinen von ihnen, der die Ansichten dieses Buches hätte, bin aber sehr lernbegierig in Bezug auf die Gegengründe, welche in diesem Falle vorzubringen sind.
Mir ist zu Muthe wie einem Offizier der eine Schanze gestürmt hat. Zwar verwundet — aber er ist oben und — entrollt nun seine Fahne. Mehr Glück, viel mehr als Leid, so furchtbar das Schauspiel rings herum ist.
Obschon ich wie gesagt niemanden kenne, der jetzt noch mein Gesinnungsgenosse ist, habe ich doch die Einbildung, nicht als Individuum sondern als Collektivum gedacht zu haben — das sonderbarste Gefühl von Einsamkeit und Vielsamkeit. — Herold vorangeritten, <der> nicht genau weiss, ob die Ritterschaft ihm nachkommt oder ob sie noch existirt.
677. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Vermutlich Basel, Anfang 1878>
Bitte, lieber Herr Schmeitzner, bringen Sie dies auf dem Manuskript in Ordnung, ich finde die Stelle nicht in meinen Papieren
678. An Reinhart von Seydlitz in Salzburg
Basel, d. 4. Januar 1878.
Sie sind so gut, lieber, lieber Freund, mit Ihren Wünschen und Verheißungen und ich bin jetzt so arm. Jeder Ihrer Briefe ist ein schönes Stück Lebensfreude für mich, aber ich kann Ihnen Nichts, gar Nichts dagegen geben. Wieder sind, während der Weihnachtsferien, böse, böse Tage, ja Wochen an mir vorbeigezogen: nun wollen wir sehen, was das neue Jahr kann. Uns zusammenbringen? Ich halte daran fest.
Gestern kam, von Wagner gesandt, der Parsifal in mein Haus. Eindruck des ersten Lesens: mehr Liszt, als Wagner, Geist der Gegenreformation; mir, der ich zu sehr an das Griechische, menschlich Allgemeine gewöhnt bin, ist Alles zu christlich zeitlich beschränkt; lauter phantastische Psychologie; kein Fleisch und viel zu viel Blut (namentlich beim Abendmahl geht es mir zu vollblütig her), dann mag ich hysterische Frauenzimmer nicht; Vieles, was für das innere Auge erträglich ist, wird bei der Aufführung kaum auszuhalten sein: denken Sie Sich unsere Schauspieler betend, zitternd und mit verzückten Hälsen. Auch das Innere der Gralsburg kann auf der Bühne nicht wirkungsvoll sein, ebensowenig der verwundete Schwan. Alle diese schönen Erfindungen gehören in’s Epos und, wie gesagt, für’s innere Auge. Die Sprache klingt wie eine Übersetzung aus einer fremden Zunge. Aber die Situationen und ihre Aufeinanderfolge — ist das nicht von der höchsten Poesie? Ist es nicht eine letzte Herausforderung der Musik?
Soviel für heute, nehmen Sie fürlieb. Ihnen und Ihrer lieben Frau Gemahlin
treu ergeben
Ihr Freund Nietzsche.
P. S. Lipiner ist, nach seinem Brief an mich, ein guter Wagnerianer; beiläufig sollte man es fast wünschen, er möchte den Parsifal noch einmal überdichten.
679. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
Basel, den 28. Jan. 1878.
Hochgeehrter Herr Verleger!
Heute nur so viel, dass ich gerne bereit bin, Ihren Vorstellungen nachzugeben, denn es handelt sich hier um Ihren Vortheil, über den Sie natürlich ein besserer Richter sein müssen, als ich es sein kann. Umsomehr bitte ich um die schon erwähnte Verschwiegenheit während der Herstellung des Buches und um die möglichste Beschleunigung derselben (ich erwarte die verheissenen 5 Bogen wöchentlich).
Mit herzlichem Gruss und Danke
der Ihrige
Prof Dr Friedrich Nietzsche.
(dictirt.)
Der 1. Correcturbogen mit dem Manuscript von Titel und Vorrede geht zu gleicher Zeit an Sie ab.
680. An Carl Burckhardt in Basel
Basel, den 11. Febr. 1878.
Hochgeehrter Herr Präsident,
Bei dem anhaltend erschütterten Zustand meiner Gesundheit hatte ich selbst neuerdings die Absicht gefasst, Ihnen ein Gesuch um Entlassung von meiner Stellung als Lehrer an den hiesigen höheren Lehranstalten überhaupt einzureichen. Doch hat mich der Rath meines Arztes und seine Meinung, dass an einer Wiederherstellung nicht zu verzweifeln sei, welche mich wieder in den Stand setzte, wenigstens meiner Aufgabe an der Universität zu genügen, bewogen mein Gesuch für jetzt auf eine endgültige Entbindung von meinen Verpflichtungen am hiesigen Pädagogium zu beschränken. Das Gutachten des Herrn Prof. Dr. Massini, welches es begründet, lege ich bei. Indem ich Sie, hochgeehrter Herr Präsident, demgemäss ersuche, meine Entlassung als Lehrer des Pädagogiums bei einer hohen Erziehungsbehörde zu befürworten und dabei meinem persönlichen Bedauern Ausdruck zu geben, dass ich von einer Anstalt scheiden muss, an der ich gern gewirkt habe, hoffe ich mit dieser abermaligen Anrufung des Wohlwollens einer hohen Behörde, je mehr ich mich zu dessen dankbarer Anerkennung schon verpflichtet fühle, sein Maass nicht zu überschreiten.
Mit vollkommener Hochachtung
Ihr ergebenster Prof. Dr F. Nietzsche
681. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Basel, 1. März 1878>
Bitte, corrigiren Sie auf Seite 142 Zeile 6 und 5 von unten: statt: die höchsten Efflorescenzen der Welt muss es heissen:
die absonderlichsten Ausnahmen in der Welt
Ergebenst
F. N.
682. An Heinrich Köselitz in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 4. März 1878>
Hôtel Stadt Paris
Sophienstrasse
Baden-Baden
683. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 4. März 1878>
Ziemlich angegriffen. Bei Dr. Berton. Er wohnt gerade gegenüber. — In Geroldsau: herrlich! Welche Labung!
Hôtel
Stadt Paris
Sophienstrasse
Warum ist der Winter-Fahrplan mitgeschickt? —
Herzlich der Deine
684. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 4. März 1878>
Adresse:
Hôtel
Stadt Paris
Sophienstrasse
Baden-Baden
685. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 6. März 1878> Mittwoch.
Bis jetzt nicht gut. Schlaflosigkeit Erbrechen Erschöpfung. Doch vertraue ich Ort und Bad (Badehaus und Einrichtung über alles Lob hinaus schön!) Auch das Hôtel ist gut, ordentlich, still; ausser mir nur 3 dauernde Gäste, nach meinem Wunsche. Dank für Karte. — Frage Freifr<au> von der Pahlen, ob sie und Fr. v. Brevern meine an ihre römische Adresse gesandten 4 Schriften seinerzeit empfangen habe. — Bitte um die Adresse Lipiners. — Bogen 11 sende mir gleich.
Treulich Dein Bruder.
686. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 8. März 1878>
Donnerstag ganz böser Tag: immer zu Bett. Nacht vorher und nachher schlaflos mit viel viel Schmerzen. Schlechtes Wetter. — Danke sehr für Nachrichten und Bogen. —
Fritzsch ist banquerott. Bitte suche sofort mit Köselitz den Brief F.s, worin er um Stundung bittet. Wahrscheinlich ist alles verloren; aber Schmeitzner will sein möglichstes thun. Sende mir den Brief. — Die grauen Hosen und der Fächer fehlten, nimm sie mit nach Naumburg.
Dein Dich herzlich liebender
Bruder.
Freitag./ Das tägl<iche> Leben und die Kost passt für mich, man nimmt alle Rücksichten auf Verdaulichkeit usw. Die schlimmen Tage Tapiocabouill<on>, The-Milch, engl. Bisquits, tout comme chez nous!
687. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 8. März 1878>
Helfen Sie mir, meine Gesundheit verbietet mir alles eigene Handeln in der gemeldeten übeln Angelegenheit. Sie schreiben: „treten Sie die Forderung an die zweite Auflage an mich ab“; bitte schreiben Sie mir den Wortlaut vor, in dem ich das thun kann; in geschäftl<ichen> Dingen bin ich ein Narr. — Fritzsch hat für die erste Aufl<age> Thl. 100 bezahlt; für die zweite hatte ich eben so viel gefordert. Er bat um Stundung und verpflichtete sich brieflich, kein Exemplar zu verkaufen, bevor er mir nicht bezahlt habe. Ich war so artig, ihn 4 Jahre nicht zu mahnen, während er mir damals (Ostern 1874 oder 73?) das nächste Weihnachten in Aussicht stellte. — Im April will ich mit Ihnen in Leipzig zusammentreffen
Ergebenst F. N.
688. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 9. März 1878>
Warnen Sie Herrn Kipke und drohen Sie mit gerichtlichem Einschreiten meinerseits wegen betrügerischen Verkaufs: kein Exemplar darf verkauft werden, bevor das Honorar bezahlt ist — so ist es zwischen mir und F<ritzsch> schriftlich abgemacht. — Ich selber schreibe an Fritzsch. — Nichtwahr, Sie haben der Druckerei gesagt, dass ein Bogen an mich nach Baden, der andre wie bisher an Hr Köselitz nach Basel abgeht? Ich wundre mich, wie langsam und unregelmässig das Alles geht. — Herzlich grüssend
Ihr sehr leidender
F. N.
689. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 10. März 1878>
Danke herzlich. Das Wetter wird schön. Mein Befinden mittelmässig seit letztem Anfalle. Ja wenn ich hier ein Jahr leben könnte! Da könnte man schon gesund werden! — Danke unsrer Mutter für Brief, ich antworte nicht, kann nicht. —
Ich bin ganz wüthend, dass die Correcturbogen nicht an mich kommen; ist es denn eine Spielerei!! Ich muss ja vor Köselitzens und Widemann’s Correcturen selber lesen; deshalb ist es ja eingerichtet. Alle Welt ist verrückt!
690. An Heinrich Köselitz in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 11. März 1878>
Lieber Freund, in N° 237, p. 201 gegen Schluss, fehlt ein Satz: schreiben Sie ihn aus dem Manuscr<ipt> auf eine Postkarte und senden Sie diese sofort an Hr. Schmeitzner, ich habe ihn benachrichtigt. Es heisst im Druck „um seine Neuerung gegen den Papst als Werkzeug zu benutzen.“ Darauf folgt wenn ich mich recht erinnere, ein ganzer Satz, der im Druck fehlt. Dann geht es im Druck weiter „Ohne diese Absichten wäre Luther us.w.
In den ersten 9 Aushängebogen habe ich nicht wenige Druckfehler wahrgenommen, doch nicht eigentlich sinnentstellende.
Sie haben mit mir eine grässliche Mühe!!
Halten Sie Ihr Versprechen und kommen Sie auf einige Tage nach Baden!
Von Herzen Ihr F. N.
691. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 11. März 1878>
Geben Sie den Correcturbogen 13, der hier folgt, nicht eher in die Druckerei, als bis eine Karte von Freund Köselitz bei Ihnen eingetroffen ist. Er hat etwas vergessen aus dem Manuscripte nachzutragen, was der Setzer vergessen hat zu setzen — einen Satz auf p. 201. —
Was die Stelle betrifft, wo ich mich selbst citire, so wird bei der Correctur eine kleine Änderung gemacht werden.
Also 1 Bogen immer an mich nach Baden, der andre nach Basel an Hr. Köselitz. Ich bin sehr pünktlich. Wäre es nur auch die Druckerei! Wie viel Bogen giebt es? — An E W Fr<itzsch> habe ich geschrieben, bin neugierig
Mit ergebenstem Grusse
692. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
Baden-Baden, Montag. <11. März 1878>
Bitte, verschaffen und senden Sie mir hierher:
Grisebach,
die deutsche Litteratur von 1770 an
IIte Auflage. Stuttgart, Kröner.
Sodann: können Sie mir recht billig die jetzt erscheinende deutsche Übersetzung von
Taine, Geschichte der englischen Litteratur erwerben?
Heute morgen schickte ich Bogen 13 an Sie ab.
Mit herzlichem Grusse Ihr
F N.
693. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 12. März 1878>
Eigentlich wüthete ich gar nicht gegen Dich, Du bekamst es nur zu hören, daß ich gegen die ganze Welt wüthete: ein bischen wegen der Druckerei-Bummelei in Chemnitz, ein bischen wegen Fritzsch. (An den ich einen langen Brief schreiben mußte!) Die Gesundheit kommt auch nicht von der Stelle. Seit gestern ist das Wetter scheußlich, vor meinen Fenstern ein Patsch-Matsch-Jahrmarkt. Trotzdem — es geht besser als in Basel, ich esse auch mehr und es bekommt mir. Der Arzt — Fragezeichen?? Das Bad gut und sehr harmlos. Wege herrlich, aber seit gestern keine Möglichkeit zu Gehen. Schicke Hauseggern hierher und schreib ihm ein Paar Worte über mein Befinden zur Entschuldigung. An Overbeck’s herzl<iche> Grüße. Sei nicht böse auf Deinen
F.
694. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 13. März 1878>
die ganze Stelle p. 201 Zeile 8 von oben lautet:
denn der Kaiser schützte ihn, um seine Neuerung gegen den Papst als Werkzeug des Druckes zu verwenden, und ebenfalls begünstigte ihn im Stillen der Papst, um die protestantischen Reichsfürsten als Gegengewicht gegen den Kaiser zu benutzen. Ohne diess seltsame Zusammenspiel der Absichten wäre Luther verbrannt worden u.s.w.
p. 207 heißt es: Trostrede eines desperaten Fortschritts. —
Heute morgen erwartete ich Bogen 14, vergebens!
Leben Sie wohl, schönsten Dank
Ihres ergebenen Dr F N.
695. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 15. März 1878> Freitag. früh.
Aber, werthester Herr Verleger, Sie erinnern sich unseres Vertrags: Geheimhaltung bis 1 Mai! Davon kann ich nicht mehr nachlassen als diess: vom Augenblicke der Versendung der Freiexempl<are> an dürfen Sie im buchhändl<erischen> Börsenblatte, in den Bayr<euther> Bl<ättern> usw. inseriren, aber nicht eher. Treiben Sie den Buchdrucker echt an, heute kam wieder kein Bogen. —
Ich sende eben Bogen 14. Die Karte mit dem eingeschobenen Satze, dessentwegen ich vorher an Sie (und an Köselitz) schrieb, ist doch in Ihren Händen? —
Fritzsch hat sein Verhältniss zu Hr. K<ipke> befriedigend erklärt. Er schreibt: „Selbstverständlich ist der zukünftige Besitzer von Hr. Kipke zur Zahlung des Honorar’s an Sie verpflichtet worden“. Ich frage Sie: war wirklich Hr. K<ipke> davon unterrichtet, dass F<ritzsch> das Honorar noch nicht gezahlt hat? Oder erfuhr er es erst von Ihnen? — Der Sache nach gleichgültig. —
Mir geht es schlecht, schlecht. Wäre nur diese Drucklegung erst vorbei! Ich soll und kann ja eigentlich nicht lesen und schreiben. Also, helfen Sie, lieber Hr. Verleger. Im April sehen wir uns.
Ihr F. N.
696. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 16. März 1878>
Wann willst Du abreisen? — Also nicht nach Naumburg? Nun dann wird es eine curiose Existenz für mich abgeben; aber in der That, für Dich ist Wiesbaden wahrscheinlich angenehmer und ruhiger — und drei Wochen später kommen wir doch wieder zusammen! — Bitte, entschliesse Dich ganz nach Deiner Neigung. — Wetter winterlich, sehr! aber schön, und meinem Befinden nicht ungünstig. Ich gehe viel im schneeigen Tannenwalde spazieren; viele gute Wege. — Sende dem armen Br<enner> doch in meinem Namen wieder einige Orangen von der kleinen süssen Sorte, es ist Fieberkranken erlaubt zu essen. Ich weiss nicht recht, was ich wünschen soll — so wie ich ihn kenne. Nur kein lebenslängl<iches> Siechthum für ihn, wie er ist. An Kösel<itz> und Widem<ann> herzl<iche> Grüsse: ich hätte die kleinen Bleistiftvorschläge auf den letzten Bogen vermisst: sie sollten ja kein Bedenken zurückhalten, ich bin so dankbar dafür. — Overbeck’s das Beste.
In herzlicher Liebe und Treue der Deine.
697. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 20. März 1879> Mittwoch früh.
Also: Freitag 1,48 am Bahnhof, nachher essen wir zu Mittag. Viel erzählen? Bitte, bringe die Adressen mit, der Bücher wegen. Ebenfalls das Notizbuch, welches Mutter zu Weihnachten mir schenkte, es lag auf dem Schreibtisch oben. Auch ein Pfund guter frischer Chocolade (c. 3 frs.) Sage, dass Köselitz doch bestimmt am Sonntage komme (ich habe ihn nöthig!). Hier Regenwetter; mir geht es nicht ganz gut deshalb, doch seit 13 Tagen keinen Anfall. Bei meiner Karte und Entschliessung bleibt es: von Herzen bitte ich Dich, mit Deiner Klugheit und Liebe darüber hinweg zu kommen. Kündige also getrost. Ich darf sagen, dass nur Gesichtspuncte der höheren Art und nichts Kleinliches mich dabei bestimmen. — Du wirst mit Liebe erwartet und findest das Zimmer neben dem meinen.
Treulich
Der Deine.
Kös<elitz> soll um 5 Uhr Morgens von Basel abfahren! — Bitte frage von Frl. von M<eysenbug> die genaue Adresse G. Monod’s.
698. An Franziska Nietzsche in Heckholzhausen (Postkarte)
<Baden-Baden, 21.März 1878>
Ich komme bestimmt in der ersten Woche des April nach Naumburg. Mit den herzlichsten Grüssen Deines Sohnes.
Friedrich Nietzsche
699. An Elisabeth Nietzsche in Wiesbaden (Postkarte)
<Baden-Baden, 27. März 1878>
Sehr erschreckt und betrübt!! Eingabe an Bahn-Direction eben gemacht. Bei der Abreise hatte ich ein Gefühl von einem Unglück. — Mein Befinden ist seitdem immer schlecht gewesen. Auch böses “Wetter. Der treffl<iche> Köselitz half und nützte in allen Stücken.
Schreib, was Deine Gesundheit macht (Vielleicht war es der Dampfkessel der Medea — „Regenerationskur“ der „Verjüngung“
F.
700. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
Baden-Baden, 26/III 1878.
Lieber Herr Schmeitzner!
Sie dürfen die Anzeigen inwendig im Buche machen; wie Sie sagten: Aufhören des Textes auf der 3. letzten Seite, vorletzte Seite leer, letzte Seite Anzeige wie folgt, genau so:
Von demselben Verfasser, Herrn Prof. Dr Friedrich Nietzsche an der Universität Basel (Schweiz) sind bisher bei mir erschienen oder in meinen Verlag übergegangen:
—
—
—
—
die Titel
—
Sodann erschien bei mir:
Dr Paul Rée, Verfasser der „Psychologischen Beobachtungen“ (Berlin, Carl Duncker.)
Der Urspr<ung> d<er> m<oralischen> Empf<indungen> dann Overbeck u.s.w.
Hochgeehrter Herr Verleger, können Sie mir vielleicht diese Woche hierher mit Postanweisung einen Theil des Honorar’s senden, vielleicht Mark 300? Das Übrige übergeben Sie mir bei der persönl<ichen> Begegnung in Leipzig?
Sehr ergeben
Dr F Nietzsche
Baden-Baden, 26 März 1878.
701. An Heinrich Köselitz in Basel (Postkarte)
<Baden-Baden, 30. März 1878>
Was Sie bis Mittwoch Abend von Basel absenden (zuletzt also Nachtzug 9 Uhr Mittwoch) kommt in meine Hände in Baden, (von wo ich Donnerstag Vormittag fortreise)
Wie gut und schön von Ihnen, dass Sie bei mir waren!
Treulich Ihr
F.N.
702. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 30. März 1878>
Bitte, als Schluss-aphorism das 8 Hauptstück (Staat) hinzuzufügen, falls Platz da ist:
Und nochmals gesagt. — Öffentliche Meinungen — private Faulheiten.
Damit ist das Manuscr<ipt> geschlossen. Ich wollte nächsten Donnerstag früh reisen? Können Sie viell<eicht> bis dahin die erbetene Sendung möglich machen? — Und wäre es nicht auch von Seiten der Druckerei zu bewerkstelligen, daß bis zu diesem Termin alle Correkt<ur>bogen in meinen Händen sind? (so daß Dienstag Abend der letzte nach Baden von Chemnitz abgienge) Sonst Adresse: Naumburg a. d. Saale per adr. Frau Pastor Nietzsche. Mit ergebensten Grüßen
der Ihrige F N.
703. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Baden-Baden> Dienstag. 2 April <1878>
Also, meine liebe gute Mutter, auf Wiedersehen am Freitag Nachmittag! Donnerstag früh will ich hier fort, die Nacht in Frankfurt verbringen.
Ich komme sehr als Patient, die Verbesserung der Gesundheit hat in den letzten Wochen nicht Schritt gehalten, das Wetter ist immer schlechter geworden.
Lass mich nur echt still für mich weg leben und beunruhige Dich in keiner Beziehung!
Im Voraus Dich herzlich
umarmend Dein Sohn
Friedrich Nietzsche.
704. An Elisabeth Nietzsche in Heckholzhausen (Postkarte)
<Baden-Baden, 2. April 1878>
Liebe gute Schwester, Donnerstag werde ich reisen, Freitag Nachmittag in Naumburg sein. Mit der Gesundheit bin ich wieder sehr unzufrieden, das Wetter ist auch gar zu schlecht. — Wegen F<ritzsch> in Leipzig habe ich einen Advocaten nehmen müssen. — Herzlichen Dank für alle Nachrichten, ich fürchte ein wenig die Eisersche Calderon-Angelegenheit: dass sie nur nicht zu einem bösen Steinchen im Schuh wird! Fr. v. M<eysenbugs> und Seydl<itzens> Nachrichten ärgern mich durch die Posaunenstösse über mein Besserbefinden und die angebl<iche> „Kaltwasserkur“: all einsein ist die Kur, kalt Wasser thut’s freilich nicht. Und Jahrelang muss ich diese elende Kränklichkeit noch fortschleppen, das weiss ich auch.
Druck in Chemnitz will nicht von der Stelle! Lebwohl geliebte Schwester.
Grüsse die lieben Verwandten, schönstens glückwünschend.
705. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Baden-Baden, 2. April 1878>
Soeben meldet Hr. Köselitz einen greulichen Druckfehler: um Alles sehen Sie schnell zu ihn zu beseitigen!
p. 290 Zeile 5 v.
oben (in Nr. 431)
Meere statt Menon
In der Angelegenh<eit> Fritzsch scheint mir jetzt am klügsten, seinem Briefe zu trauen und nichts zu thun (es sei denn eine Anfrage an Hr Kipke, ob F<ritzsch> dem Brief gemäß ihm die auf der 2t. Auflage lastende Verpflichtung erklärt habe und ob er sie anerkenne — aber auch dies kann unterbleiben
706. An Franz Overbeck in Basel
<Baden-Baden, 3. April 1878>Morgen (Donnerstag) reise ichnach Naumburg a/S ab.
Liebster Freund
morgen reise ich nach Naumburg ab. Die Kur ist im Ganzen viel zu kurz gewesen, das kalte Wasser war übrigens Nebensache, alleinsein und spazierengehen das Wirksame, worauf mich immer wieder der Instinkt hinweist. Immerhin — hier hielt ich es doch aus, während der Baseler Winter wie ein Alp auf mir lag — und in der Erinnerung noch liegt.
Darf ich Dich bitten den 12 13 oder 15 April meine Einkommens- und Erwerbssteuer zu erledigen? Dazu sende ich frs. 35 mit Postanweisung und das Blatt, welches Du gefälligst versiegeln wirst. In herzlicher Liebe Deiner immer gedenkend und mit den besten Wünschen für Dich und Deine liebe treffliche Frau
Dein Friedrich Nietzsche
707. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
Naumburg am 13 April 1878
Ihre Abschrift entzückt mich, durch Ihre Hand scheint die Musik erst in meine „Musik“ gekommen zu sein. —
Bei Ihrem Abschiedsbriefe, den Ihre Güte nach Baden mir zusandte, fiel mir ein, ob nicht auch Sie zu den guten Geistern gehören, welche, durch Kunst und Leben, die „Philosophie des Vormittages“ suchen? —
Bleiben wir Beiden unserm Selbst nur treu, so bleiben wir es auch einander: daran glaube ich.
Leben Sie wohl, lieber Freund
Friedrich Nietzsche
708. An Andreas Heusler in Basel
Naumburg an der Saale 14 April 1878.
Ach mein armer armer Freund, mit dem tiefsten herzlichsten Bedauern habe ich von Ihrer Vereinsamung gehört, das glauben Sie mir gewiß.
In Liebe Ihr
Friedrich Nietzsche
709. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
Naumburg den 14 April 1878.
Hier, geehrtester Herr Verleger, die letzten Blätter, an denen noch Mancherlei zu thun ist! Bitte, überwachen Sie ja den Correktor der Druckerei, der mir bei weitem nicht sorgsam genug erscheint. Das Wichtigste ist, daß die beiden Stücke 628 und 638 ihren Platz vertauschen müssen — eine sehr wesentliche Änderung!
Der Titel (nur Eine Farbe, schwarz) mag jetzt passiren. Irgendworan hängt es noch, aber wir wollen uns zufrieden geben. Daß das Wort Allzumenschliches stärker gedruckt ist als Menschl<iches> ist aus Gründen der Schönheit rathsam, aus Gründen der Vernunft mir nicht sehr gefällig.
Briefe zu den Freiexempl<aren> kann ich nicht schreiben — hol der Teufel jedes Wort, das ich schreiben muß! — Kein Druckfehlerverzeichniß! Es ist ja kein Buch für Esel. Aber Meere muß in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise eingeklebt werden.
Nächsten Dienstag Nachmittag und den darauf folgenden Mittwoch werde ich in Leipzig sein (also übermorgen), aus verschiedenen Gründen. Herr Dr. Rée wird auch dahin kommen. Wollen Sie mich sehen, so werde ich mich herzlich freuen. Aber Eins muß ich Ihnen, wie meinem Freunde Rée voraussagen: meine Gesundheit verlangt erstens daß ich fast immer allein sein muß und daß eine freundschaftliche Besprechung nicht viel länger als eine halbe Stunde dauert — sonst muß ich es büßen.
Warum haben Sie einen Patienten zum Autor!
Übrigens macht mir das fertig werdende Buch viel Freude.
Ich wohne Leipzig Stadt Rom; dies Haus wird doch noch existiren?
Also Ostersonntag kann ich das erste Exemplar hier haben? Das Namenverzeichniß für die Freiexemplare bringe ich mit nach Leipzig oder schicke es Ihnen.
Mit ergebenstem Gruße
Ihr
Dr Friedrich Nietzsche
710. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Naumburg, 14. April 1878>
Nichtwahr, absolutes Stillschweigen gegen Dr Rée über unsere Unternehmung? Ich bitte sehr darum
F. N.
Ich möchte die Antiquariatskataloge von Brockhaus über englische und französische Litteratur, namentlich über deutsche Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen.
711. An Karl Hillebrand in Florenz
<Naumburg, Mitte April 1878>
Hochverehrter Herr
nach einem Winter schwerer Erkrankung genieße ich jetzt im Wiedererwachen der Gesundheit Ihre vier Bände „Völker Zeiten und Menschen“ und freue mich darüber wie als ob es Milch und Honig wäre. O Bücher, aus denen eine europäische Luft weht, und nicht der liebe nationale Stickstoff! Wie das den Lungen wohlthut! Und dann: ich möchte den Autor sehen, der Ihnen an Unbefangenheit und wohlwollendem Gerechtigkeits-Sinne gleichkäme — oder vielmehr: ich will mich bemühen, alle Autoren — wie wenige werden es aber sein! — kennen zu lernen, die Ihnen in Betreff jener hohen Tugenden nahe kommen. —
Wie danke ich Ihnen, daß Sie diese Aufsätze gesammelt haben! Sie wären mir sonst fast ganz entgangen, da ich weder Zeitungen noch Zeitschriften lese und überhaupt, der Nähe der Erblindung wegen, sehr wenig lese (und schreibe)
Dies erinnert mich daran, daß Sie auch über meine Schriften gesprochen haben: es ist bei weitem das Einzige, was mir von dem, was mir von Urtheilen über dieselben bekannt geworden ist, wirklich Freude gemacht hat. Denn hier urtheilt ersichtlich die Überlegenheit (in Erfahrung und Geschmack und einigen andren Dingen —), da ergreift der Beurtheilte, wenn er kein Narr ist, mit Vergnügen gegen sich selber Partei. Und wie gerne man von Ihnen lernt!
Von Herzen dankbar und ergeben
Dr. Friedrich Nietzsche,
Universität Basel (Schweiz).
Verargen Sie dem Philologen eine Pedanterie nicht: es heißt „das Sophisma“, nicht „der Sophismus“ — ich bitte um Verzeihung! —
712. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Naumburg, Mitte April 1878>
Hr. Widemann
Hr. Köselitz
}
geb. Exemplare
1
Herrn Professor Dr. Erwin Rohde
Jena
2
Herrn Dr. Paul Rée
(Berlin
(2 Mauerstr.)
Stibbe bei Tütz
Kreis Marienwerder
3
Herrn Baron Karl von Gersdorff
Berlin
4
2 Hedemannstraße
5
Herrn Baron von Seydlitz
Salzburg
Mönchsberg N. 8
6
Madame de Meysenbug
3° via della Polveriera
Roma
Italia
7
Herrn Siegfried Lipiner
Wien
Praterstraße N. 48
8
Herrn Dr. Heinrich Romundt
Gymnasiallehrer am Gymnasium in
Osnabrück
9
Fräulein Mathilde Maier
Mainz
Karthäuserstraße N. 13
10
Frau Marie Baumgartner
Lörrach
Thumringer Str.
(Gr.herzth. Baden)
11
Herrn Baron Emmerich Dumont
Graz Oesterreich
Göthestraße N. 6
12
Herrn Dr. Karl Fuchs
Hirschberg
Provinz Schlesien
13
Monsieur le professeur Dr.
Charles Hillebrand
Firenze
Lungo d’Arno
Italia
14
Mr. G. Croom Robertson
Professor in University College
London
6 Lorton Terrace; Ladbroke Road. W.
15
Der Bibliothek in Basel, zu geehrten Händen des Herrn
Bibliothekars Dr. Sieber.
16
Herrn Dr. O. Eiser
Frankfurt am Main
Gr. Hirschengraben N. 25
17
Herrn Professor Hofrath Dr. Heinze
in
Leipzig
Grimmaische Straße
18
Hr Dr. Paul Deussen
Privatdocent am Polytechnicum
in
Aachen.
19
Herrn Hans Baron von Bülow
K. K. Kapellmeister in
Hannover
20
Herrn Richard Wagner in
Bayreuth
21
Frau Richard Wagner
geb. Liszt in
Bayreuth
22
Professor Dr. Jacob Burckhardt
Basel
23
Prof. Dr. Overbeck
Basel
Eulerstr.
24
Prof. Dr. Massini
Basel
Elisabethenstr.
25
Prof Dr. Schiess
Basel
26
Herrn Georg Fürstenberger-Vischer
Basel
27
Frau Rothpletz, Haus Falkenstein in Zürich (Schweiz)
28
M. le prof. Gabriel Monod (révue historique) Paris
76 rue d’Assas.
m<einer> Schwester / Bis wann?
713. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
Naumburg <19. April 1878>
Monod’s Adresse:
M. le professeur Gabriel Monod
76 rue d’Assas
Paris
Die letzten Aushängebogen bitte ich mir recht schnell noch hierher aus. Abreise Mittwoch früh nach Ostern.
Platon’s Apologie ist eingetroffen, ich danke schön. — Aber was sah ich im buchhändl<erischen> Börsenblatte! O Herr Verleger! —
Meine Leipziger Reise muss ich schwer durch einen zweitägigen Anfall büssen. — Ihr ergebenster
F. N.
714. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Naumburg, vermutlich 21./22. April 1878>
Ich ersuche um die umgehende Zusendung
der rückständigen Aushängebogen.
715. An Paul Rée in Stibbe (Postkarte)
<Naumburg, 23. April 1878>
Morgen geht es rückwärts, nach Basel, in allen anderen Beziehungen aber vorwärts, hoffentlich! — Leipzig habe ich allerdings büssen müssen, aber Sie haben mich büssen müssen (mein Patiententhum u.s.w.), das war schwerer, und wie gütig haben Sie es ertragen! Ich denke Ihrer in herzlicher Dankbarkeit, ebenso wie meine Mutter.
Es wird Ihnen in meinem Auftrage etwas zugesandt, nächster Tage, weil ich bemerkte, dass Sie zweimal darin vorkommen p. 43 und p. 45. — Ist’s recht? Ihr
Freund F N.
716. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Naumburg, 23. April 1878>
Lieber Herr Verleger, danke schön für Brief und Wünsche. Morgen Abend geht es nach Basel. — Es ist mir doch sehr lieb, nun zu wissen, wie Sie aussehen. Ich hoffe, es bleibt zwischen uns beim Alten — und Guten. —
F. N.
Noch ein paar Bücherwünsche.
Rénan,
philosophische Dialoge. In’s Deutsche übersetzt (1878 erschienen.)
Taine,
die Entstehung des modernen Frankreich Bd. I Leipzig, Günther.
(Mit Titelblatt zufrieden)
717. An Paul Rée in Stibbe
<Basel, 24. April 1878>Herrn Dr. Rée
Liebster Freund, stundenlang gehe ich mit Ihnen im Geiste lustwandeln; wir beiden flugmüden Vögelchen wissen nichts besseres zu thun als auf Einem Baumzweige mit einander zu zwitschern. So scheint es mir. Alle Sonne, die ich genieße, mag auch Ihnen wohl und willkommen sein — und nun machen Sie mit dem übersandten Büchelchen, was Sie wollen. Ihnen gehörts, — den Andern wird’s geschenkt.
F N
Wo gehen Sie im Sommer hin? Vielleicht Etredat in der Normandie? Oder? — Gesundheit unbeschreiblich schlecht.
718. An Isabella von der Pahlen in Reval (Entwurf)
<Basel, April/Mai 1878>
Es war auf dem Bahnh<of> in Turin dass ich Ihnen etwas versprach in dunkl<en> Ausdrücken (denn ich habe eine Scheu von Kindern zu reden die nicht geboren sind) Kurz: was ich damals meinte war dies Buch. Bitte nehmen Sie es wie mich selbst als gelegentl<ichen> Reisegefährten und seien Sie gewogen
Fr v d Pahlen
719. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
Basel, Gellertstr. 22 <6. Mai 1878>
Sagen Sie doch, geehrtester Herr Verleger, wie ist es möglich, dass heute am 6t Mai der Autor noch kein fertiges Exemplar seines Buches gesehen hat? — Bitte, senden Sie ein gebund<enes> Exempl<ar> an Herrn Köselitz direct nach seinem jetzigen Wohnort, ich habe seine Adresse nicht und möchte nicht mehr verzögern.
— Eine Woche Vorlesungen hinter mir, die zweite angefangen — schwer! schwer! aber es soll gehen!
Ihnen den allerbesten Erfolg wünschend
ergebenst
F N.
720. An Paul Rée in Stibbe
Basel den 12 Mai 1878.
Nun, das wäre ja herrlich, wenn ich Ihnen, mein geliebter Freund, zu einer Freude durch mein Buch verholfen hätte — denn sonst* habe ich Verdruß Mißverständniß Entfremdung hervorgerufen, so scheint es, nach allen Brief-Erfahrungen. Ich aber fühle mich wie verjüngt, einem Gebirgsvogel gleich, der recht hoch oben, beim Eise, sitzt und auf die Welt hinuntersieht.
Halten wir gut zusammen, so hält auch manches Andere gut zusammen, und am Hause der Wissenschaft wird tüchtige Zimmermanns-Arbeit verrichtet, daß man uns Beide doch einmal deshalb loben wird.
Ich bin in voller akademischer Thätigkeit. Die Gesundheit schwankend und gefährlich, aber — fast hätte ich gesagt, „was geht mich meine Gesundheit an!“
Und was macht die Ihrige? Alles Heil- und Segenvolle dem Freunde anwünschend
immer Ihr
Friedrich Nietzsche
(sammt den Wünschen und Grüßen
meiner Schwester)
721. An Reinhart von Seydlitz in Salzburg
<Basel,> 13. Mai 1878.
Lieber Freund,
seit drei Wochen bin ich wieder in voller akademischer Sommer-Thätigkeit — sehr zufrieden darüber! Wenig Zeit übrig! — Heute nur einen Wink, den ein Freund verstehen wird.
Können Sie mir jenes Gefühl — das unvergleichbare — nachfühlen, zum ersten Male öffentlich ein Ideal und sein Ziel bekannt zu haben, das Keiner sonst hat, das fast Niemand verstehen kann und dem nun ein armes Menschenleben genügen soll — so werden Sie mir auch nachfühlen, warum ich in diesem Jahre, sobald mein Beruf mich frei giebt, Einsamkeit brauche. Keinen Freund — Niemanden will ich dann, es ist so nöthig. Nehmen Sie dies, bitte, ohne Erörterung hin. —
Einige Worte Ihres Briefes haben mich fast erschreckt. Sind Sie wirklich je in Ihren Gedanken auch den furchtbaren Weg mit seinen Via-mala-Consequenzen gegangen — gehen Sie ihn nicht wieder! Ich wußte davon nichts. So weit ich Sie kennen lernte, würde ich aber mir zu sagen erlauben: Ihr Temperament und Ihre Lebensstellung sind dafür nicht geeignet: Unzufriedenheit und Qual wäre Ihr Loos, und Niemand hätte den Nutzen davon.
Gerne hätte ich von Ihnen etwas über Lipiners Eindruck auf Sie gehört. Bei mir hat er sich eigentlich durch seine wiederholten Versuche aus der Ferne her über mein Leben zu disponiren und durch Rath und That in dasselbe einzugreifen unmöglich gemacht. So etwas verabscheue ich: keiner meiner ältesten Freunde würde wagen, mir solche dreiste Dinge zu proponiren. Mangel an Scham — das ist es. Von so Einem muß ich ganz ferne sein, dann gelingt es mir ganz gut, selbst sein Freund zu werden — aber in partibus.
— Meine Schwester, welche diesmal mir es überlassen hat, dem trefflichen und edel gesinnten Briefschreiber zu danken, liest jetzt mein neues Buch, ist aber ferne davon, darüber ein böses Gesicht zu machen. Ich glaube, sie hält die Partien, auf welche Sie anspielen (Freigeist und Ehe) für richtig. Mit ihnen haben die abnormen Umstände, unter denen wir Geschwister uns entschlossen, eine Zeitlang zusammen zu leben und die Niemand näher zu kennen braucht, nichts zu thun. — Ich glaubte, daß alle Frauen sich beim Lesen solcher Dinge Glück wünschen würden, keine Freigeister zu Männern zu haben: und so meinte ich das eheliche Glück im Allgemeinen gefördert zu haben.
Nichts liegt mir entfernter als Proselyten zu machen: Niemand hat so wie ich vor dem Gefährlichen des Freien Geistes gewarnt und zurückgeschreckt.
Bleiben Sie mir gut, mein lieber Freund. Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin
treulich zugethan
Friedrich Nietzsche.
721a. An Reinhart von Seydlitz in Salzburg (Entwurf)
Können Sie mir jenes Gefühl — das unvergleichbare — nachfühlen, zum ersten Male öffentlich ein Ziel bekannt zu haben, das Keiner sonst hat, das fast niemand verstehen kann und dem nun ein armes Menschenleben genügen soll? — So werden Sie es verstehn, wenn ich in diesem Jahre Einsamkeit brauche — sobald mein Beruf (und das Sommersemester der Universität mich frei giebt.) Kein Freund — niemanden will ich dann — es ist nöthig. Nehmen Sie es, bitte, ohne Erörterung hin.
Ein Wort Ihres guten Briefes hat mich fast erschreckt. Sind Sie wirklich je in Ihren Gedanken den furchtbaren Weg mit seinen via mala-consequenzen gegangen — gehen Sie ihn nicht wieder! So gut ich Sie kenne — aber vielleicht kenne ich Sie viel zu wenig — möchte ich mir zu sagen erlauben: Ihre Lebensstellg., u. Ihr Temperament sind dafür nicht gemacht: Unzufriedenheit u. Qual wäre Ihr Loos u. — niemand hätte den Nutzen davon.
Der gute Lipiner — Eigentlich hat er sich durch seine wiederholten Versuche aus der Ferne her über mein Leben zu disponiren und durch Rath und That in dasselbe einzugreifen, bei mir unmöglich gemacht. Solche Menschen verabscheue ich, soweit ich dieser Empfindung fähig bin. Mangel an Scham — das ist es. Von so einem möcht ich sehr fern sein, ich verstehe es dann ganz gut, sein Freund zu werden, aber in partibus.
Meine gute Schwester liest jetzt das Buch, ist aber fern davon, ein böses Gesicht zu machen. Sie hält die Partien, auf welche Sie anspielen, für richtig. Die abnormen Bedingungen, unter den<en> wir Beide uns entschlossen, eine zeitlang zusammen zu leben, haben mit ihnen gar nichts zu thun.
Wir haben sehr darüber gelacht, daß Sie so etwas vermeint haben. Ich glaube daß alle Frauen sich beim Lesen solcher Dinge Glück wünschen würden, keine Freigeister zu Männern zu haben — und so meinte ich das eheliche Glück im Allgem. gefördert zu haben. — Nichts liegt mir entfernter als Proselyten zu machen; niemand hat so wie ich vor dem Freigeiste gewarnt und zurückgeschreckt.
722. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Basel,> 16 Mai 1878.
Also die Sendung an Hr. Köselitz übernehmen Sie, geehrtester Herr. Die 3 Exempl<are> kamen gestern in meine Hände. Bei so schöner Ausstattung bedauere ich die lüderliche Ungleichmässigkeit in der Breite des Randes (auch beim Einbinden nicht gut zu machen!) — Ergebensten Dank für Ihr Schreiben: es enthielt nichts Unerwartetes, mit Ausnahme Ihrer eignen Pläne und Andeutungen, die ich nicht ganz verstehe: weshalb ich der „Pistole“ mit Spannung entgegensehe. — Aber wahren Sie auch in Ihren Plänen den Gedanken meiner „Souverainität“ und Unabhängigkeit, nicht wahr? Mit Parteiblättern irgend welcher Art habe ich nie etwas zu thun. — Soviel. Inmitten meiner vollen akademischen Thätigkeit und sehr glücklich, sie wieder ganz auszuüben. Denken Sie, ich sei ein „Schriftsteller“? — Mit herzlichem Grusse
F. N.
723. An Heinrich Köselitz in Venedig
<Basel, 31. Mai 1878>
Lieber Freund, am Tage Voltaire’s kam zweierlei zu mir; rührend und ergreifend war beides: Ihr Brief und dann eine anonyme Sendung aus Paris, die Büste Voltaire’s, mit einer Karte, auf der sich nur die Worte befanden „l’âme de Voltaire fait ses compliments à Frédéric Nietzsche.“
Nehme ich zu Ihnen die Beiden noch hinzu, welche sich wirklich über mein Buch erfreut gezeigt haben, Rée und Burckhardt (der es wiederholt „das souveräne Buch“ genannt hat), so habe ich einen Wink darüber, wie die Menschen beschaffen sein müßten, wenn mein Buch eine schnelle Wirkung thun sollte. Aber das wird und kann es nicht, so leid es mir des trefflichen Schmeitzner wegen thut. Von Bayreuth aus ist es in eine Art von Bann gethan: und zwar scheint die große Excommunikation über seinen Autor zugleich verhängt. Nur versucht man, meine Freunde doch noch festzuhalten, während man mich verliert — und so höre ich denn von Manchem, was hinter meinem Rücken geschieht und geplant wird. — Wagner hat eine große Gelegenheit, Größe des Charakters zu zeigen, unbenutzt gelassen. Mich darf es nicht beirren, weder in meiner Meinung über ihn, noch über mich.
Ja, wenn man soviel eindringenden Ernstes und auch soviel Zeit einem solchen Erzeugniß weihen wollte wie Ihre Güte gethan, so käme wohl etwas dabei heraus: nämlich Neues an Gedanken und Gefühlen und eine kräftigere Stimmung, wie als ob man in leichter gewordene Luft der Höhe gerathen sei. Rée sagt, er habe eigentlich nur Einmal durch ein Buch eine gleiche Stimmung produktiven Genießens erfahren, durch Eckermann’s Gespräche; ganze Hefte von Reflexionen seien schon entstanden.
Das eben ist das Beste, was ich erhoffte — die Erregung der Produktivität Anderer und die „Vermehrung der Unabhängigkeit in der Welt“ (wie J.Burckhardt sagte).
Meine Gesundheit bessert sich, ich bin unermüdlich im Spazierengehen und einsamen Für-mich-hin-Denken. Ich freue mich des Frühlings und bin ruhig, wie einer, der nicht mehr so leicht aus dem Geleise zu bringen ist. — Könnte ich doch bis an’s Ende so weiter leben! —
Dies alles handelt von mir, weil Sie gern etwas von mir hören wollen. Vieles möchte ich verschweigen, den Tod und die letzten gequälten Zeiten Brenner’s, die seltsame Entfremdung vieler Bekannter und Freunde. —
Bleiben Sie mir gut, in aller Freiheit. — Wie verstehe ich Ihr „unstät und flüchtig“, wie ähnlich sind Sie mir darin! — Nun wachsen Sie fort und fort! In dieser Hoffnung bin ich immerdar
Ihr Freund F. N.
724. An Louis Kelterborn in Basel
Basel den 6 Juni 1878.
Mein lieber armer Herr Doctor,
seien Sie überzeugt, daß ich und ebenso meine Schwester mit dem herzlichsten Antheile in diesen Tagen Ihrer gedenken, und daß ich ein Mittel zu haben wünschte, um Ihnen nach einem solchen Verluste und in die schmerzliche Vereinsamung hinein doch das Leben tröstlich und lebenswerth erscheinen zu lassen.
Ihre kürzlich mir zugesandten Briefe haben mich gerührt: wirklich, Sie stehen mir sehr nahe, wenn Sie so empfinden können. Bleiben Sie mir gut.
In Trauer mit Ihnen
Friedrich Nietzsche.
725. An Malwida von Meysenbug in Rom (Postkarte)
<Basel, 11. Juni 1878>
Wer hat denn am 30t. Mai an mich gedacht? Es kamen zwei sehr schöne Briefe (von Köselitz und Rée) — und dann noch etwas Schöneres: ich war ganz ergriffen — — das Schicksal des Mannes, über den es auch nach 100 Jahren nur Partei-Urtheile giebt, stand mir als furchtbares Symbol vor Augen: gegen die Befreier des Geistes sind die Menschen am unversöhnlichs<t>en im Haß, am ungerechtesten in Liebe. Trotzdem: ich will stille meinen Weg gehen und auf alles verzichten, was mich daran hindern könnte. Die Krisis des Lebens ist da: hätte ich nicht das Gefühl der übergroßen Fruchtbarkeit meiner neuen Philosophie, so könnte mir wohl schauerlich einsam zu Muthe werden. Aber ich bin mit mir einig. — Mit Sorrent ist nun für uns das Bild des guten A<lbert> Br<enner> für immer verknüpft; rührend und melancholisch — das Grab des Jungen-Alten in dieser ewig jugendlichen heiteren Welt. — Von ganzem Herzen Ihnen gut und zugethan
F. N.
726. An Reinhart von Seydlitz in Salzburg (Postkarte)
<Basel, 11. Juni 1878>
Mir ist es sehr lieb und erwünscht, daß einer meiner Freunde W<agner>n Gutes und Freundliches erweist: denn ich bin immer weniger im Stande, ihm (so wie er nun einmal ist — ein alter unveränderlicher Mann) Freude zu machen. Seine und meine Bestrebungen laufen ganz aus einander. Dies thut mir wehe genug — aber im Dienste der Wahrheit muß man zu jedem Opfer bereit sein. Wüßte er übrigens, was ich alles gegen seine Kunst und seine Ziele auf dem Herzen habe, er hielte mich für einen seiner ärgsten Feinde — was ich bekanntlich nicht bin. — Mein letzter Brief war wohl sehr undeutlich? Mit Via-Mala-Consequenzen bezog ich mich auf meine Ansichten über Moral und Kunst (die das Härteste sind, was mir der Wahrheitssinn bis jetzt abgerungen hat!) — In 14 Tagen haben wir große Auflösung unsres Haushalts: meine liebe Schwester geht nun für immer wieder zu meiner Mutter zurück. — Ergebensten Dank für das Hamdelied: wer ist die Übersetzerin? —
Ihnen Beiden von Herzen zugethan
F.N und L.N.
727. An Erwin Rohde in Jena
<Basel, kurz nach dem 16. Juni 1878>
So ist’s recht und schön, liebster Freund: wir zusammen stehen doch noch nicht auf einem thönernen Gestell, das ein Buch gleich umwerfen möchte.
Ich warte diesmal in Ruhe ab, wie die Wellen, in denen meine armen Freunde herum plätschern, sich allmählich legen: habe ich sie in diese Wellen hineingestossen — lebensgefährlich ist’s nicht, das weiss ich aus Erfahrung; und wenn’s freundschaftsgefährlich hier und da sein sollte — nun, so wollen wir der Wahrheit dienen und sagen: „wir liebten bisher aneinander eine Wolke“.
Vieles wäre zu sagen, noch mehr Unsägliches dabei zu denken: im Scherz sei nur der Vergleich gewagt, dass ich einem Manne gleiche, der eine grosse Mahlzeit veranstaltet und dem Angesichts aller guten Speisen die Gäste davon laufen. Wenn da Einer oder der Andre wenigstens einige Bissen sich schmecken lässt (wie Du Lieber Guter den Graecis die Ehre anthust) so ist besagter Mann darüber schon sehr erbaut.
Grüble nicht über die Entstehung eines solchen Buches nach, sondern fahre fort, dies und jenes Dir herauszulangen. Vielleicht kommt dann auch einmal die Stunde, wo Du mit Deiner schönen constructiven Phantasie das Ganze als Ganzes schaust und an dem grössten Glücke, das ich bisher genoss, theilnehmen kannst.
Beiläufig: suche nur immer mich in meinem Buche und nicht Freund Rée. Ich bin stolz darauf, dessen herrliche Eigenschaften und Ziele entdeckt zu haben, aber auf die Conception meiner „Philosophia in nuce“ hat er nicht den allergeringsten Einfluss gehabt: diese war fertig und zu einem guten Theile dem Papier anvertraut als ich im Herbste 1876 seine nähere Bekanntschaft machte. Wir fanden einander auf gleicher Stufe vor: der Genuss unserer Gespräche war grenzenlos, der Vortheil gewiss sehr gross, auf beiden Seiten (so dass R<ée> mit liebevoller Übertreibung mir in sein Buch (Urspr<ung> d<er> mor<alischen> Empf<indungen>) schrieb „dem Vater dieser Schrift dankbarst dessen Mutter“
Dadurch erscheine ich Dir vielleicht noch fremdartiger, unbegreiflicher? Fühltest Du nur, was ich jetzt fühle, seitdem ich mein Lebensideal endlich aufgestellt habe — die frische reine Höhenluft, die milde Wärme um mich — Du würdest Dich sehr, sehr Deines Freundes freuen können. Und es kommt auch der Tag.
Von ganzem Herzen
Dein F.
Meine liebe Schwester grüsst von Herzen. Weisst Du schon, dass sie in 2 Wochen nach Naumb<urg> zurückkehrt?
728. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
Basel 20 Juni 1878.
Geehrtester Herr Verleger,
Muth habe ich Ihnen gewiss nicht zuzusprechen; Ihre Erfahrungen sind bitter, aber nicht wahr, wir Beide wollen ehrlich darnach streben, dabei selber „süss“ zu bleiben, als gute Früchte, denen böse Nächte nicht allzu sehr zusetzen dürfen? Die Sonne wird schon wieder scheinen — wenn auch nicht die Bayreuther Sonne. Wer kann jetzt sagen, wo Aufgang, wo Niedergang ist und dürfte sich vor Irrthum sicher fühlen? Verhehlen will ich aber nicht, dass ich von ganzem Herzen das Erscheinen meines freigeisterischen Licht-Buches in einem Augenblicke segne, wo die Wolken sich schwarz über Europa’s Culturhimmel sammeln und die Verdunkelungs-Absicht fast als Moralität angerechnet wird.
Mit „Homer“ geht es nicht, ich bedaure sehr.
Anbei den Wunsch, die Fortsetzung von Taine’s „Frankreich“ zu erhalten, sodann
Klassisches Liederbuch von E. Geibel
(Berlin, Hertz)
Mit ergebenstem Grusse
Ihr
F. N.
729. An Carl Fuchs in Hirschberg
Basel. <kurz vor Ende Juni 1878>
Sie sind einer der Allerersten, lieber und werther Herr Doktor, welche mein Buch praktisch nehmen: darüber freue ich mich sehr, denn es beweist mir, daß die Wohlthat, welche ich mir selber damit erwies — auch noch übertragbar ist. Fühlen Sie jetzt, hinterdrein, nicht etwas von Höhenluft —; es ist etwas kälter um uns, aber um wie viel freier und reiner als im Dunst des Thals! Ich wenigstens fühle mich rüstiger und zu allem Guten entschlossener als je — auch zehnmal milder gegen Menschen, als in der Zeit meines früheren Schriftthums. In summa und im kleinsten Einzelnen: jetzt wage ich es, der Weisheit selber nachzugehen und selber Philosoph zu sein; früher verehrte ich die Philosophen. Manches Schwärmerische und Beglückende schwand: aber viel Besseres habe ich eingetauscht. Mit der metaphysischen Verdrehung ging es mir zuletzt so, daß ich einen Druck um den Hals fühlte, als ob ich ersticken müßte.
Bei Ihnen muß sich vieles innerlich ereignet haben, was mir eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, daß wir, gerade auf der neuen Basis, gut freund werden müßten. Sie segeln jetzt in ein unbekanntes neues Meer; es thut mir gar zu wohl, zu denken, daß ich Ihnen dabei den Muth nicht verdorben, daß Sie es verstanden haben, meine Freigeisterei, τὸ ἐμὸν πνεῦμα, selbst als Fahrwind zu benutzen.
Und nicht wahr? mein Gesicht bleibt Ihnen doch wieder Nietzschisch und nicht mehr Bülowisch? —
Das Orchester in Ihren Händen und unter Ihrem Geiste — ist mir eine höchst angenehme Vorstellung. Dahin mußte es kommen, im ganzen Plane Ihres Lebens: „am Ende ist der Sinn“, entsprechend Ihrem „im Anfang war der Unsinn“: was ich ganz glorios gesagt finde.
Bleiben Sie mir gut!
Immer Ihnen zugethan, obschon meine Augen mich zwingen, Ihren reichen Briefen das undankbarste Stillschweigen entgegenzusetzen. Aber Sie verstehen auch dies recht — nachdem wir überhaupt uns verstehen.
F. N.
730. An Unbekannt (Entwurf)
<Basel, Juli 1878>
Freitag den 28 Juni habe ich einen Eisenbahnwagen mit Möbeln von hier nach Naumburg a/Saale an Frau Pastor Nietzsche abgesandt, mit 4 tägiger Lieferungszeit (150 Mark
731. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Basel, 1. Juli 1878>
Werthester Herr Verleger, ich bestellte das classische (nicht das spanische) Liederbuch v<on> Geibel. Schreibe ich denn so diabolisch undeutlich, dass Antikes und Romantisches in Eins zusammenfliessen?
Mit Bedauern und herzlichem
Grusse Ihr F. N.
732. An Elisabeth Nietzsche auf der Frohburg
<Basel,> Mittwoch. 3 Juli 1878
Also meine geliebte Schwester! Heute nur einen Gruß aus der Tiefe zur Höhe und die Mittheilung, daß ich den Heimatsschein habe, daß ich einen Brief an Dich absandte (von Dr. Eiser muthmaßlich) daß heute die Stühle an M. und Sch. befördert werden, daß die Mange bei Immerm<anns> großes Vergnügen (laut Brief) gemacht hat. Endlich: ich komme Samstag womöglich zum Mittagessen, und wir reisen zusammen Montag früh zurück: 8 Uhr 41 von Läufelfingen ab, Ankunft in Basel 9,38, so daß ich zur Zeit in’s Colleg komme.
Wetter ungünstig, doch kräftig — ich bin zufrieden. Gesundheit, wie zu erwarten — schwierig.
Gestern ein Halbstündchen bei Overbecks.
Lebewohl, in herzlicher Gesinnung
Dein
Bruder
733. An Franziska Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
Basel den 8 Juli 1878.
Meine liebe Mutter, laß Dir doch sofort vom Naumburger Bürgermeister einen Schein ausstellen, daß die Möbel Umzugsgut sind (vor 3 Jahren von Dir an mich in die Schweiz geschickt und jetzt an Dich wieder zurück) und sende den Schein dann nach Erfurt. Du bekommst die Sachen dann ohne alle Umstände. Sehr bedauernd, daß diese Schwierigkeiten Dich belästigen
Dein Sohn
Die Steuerbehörde der hiesigen Elsässischen (deutschen) Bahn hat sie steuerfrei als Umzugsgut angenommen und einen Schein ausgestellt.
733a. An Elisabeth Nietzsche in Basel (Widmung)
Meiner geliebten Schwester
zum Abschied von Basel
am 10. Juli 1878
in herzlicher und steter Dankbarkeit.
F. N.
734. An Mathilde Maier in Mainz
<Basel, 15. Juli 1878>
Verehrtestes Fräulein,
es ist nicht zu ändern: ich muß allen meinen Freunden Noth machen — eben dadurch daß ich endlich ausspreche, wodurch ich mir selber aus der Noth geholfen habe. Jene metaphysische Vernebelung alles Wahren und Einfachen, der Kampf mit der Vernunft gegen die Verunft, welcher in Allem und Jedem ein Wunder und Unding sehen will — dazu eine ganz entsprechende Barockkunst der Überspannung und der verherrlichten Maßlosigkeit — ich meine die Kunst Wagner’s — dies Beides war es, was mich endlich krank und kränker machte und mich fast meinem guten Temperamente und meiner Begabung entfremdet hätte. Könnten Sie mir nachfühlen, in welcher reinen Höhenluft, in welcher milden Stimmung gegen die Menschen die noch im Dunst der Thäler wohnen ich jetzt hinlebe, mehr als je entschlossen zu allem Guten und Tüchtigen, den Griechen um hundert Schritt näher als vordem: wie ich jetzt selber, bis in’s Kleinste, nach Weisheit strebend lebe, während ich früher nur die Weisen verehrte und anschwärmte — kurz wenn Sie diese Wandelung und Krisis mir nachempfinden können, oh so müßten Sie wünschen, etwas Ähnliches zu erleben!
Im Bayreuther Sommer wurde ich mir dessen völlig bewußt: ich flüchtete nach den ersten Aufführungen denen ich beiwohnte, fort in’s Gebirge, und dort, in einem kleinen Walddorfe, entstand die erste Skizze, ungefähr ein Drittel meines Buches, damals unter dem Titel „die Pflugschaar“. Dann kehrte ich, dem Wunsche meiner Schwester folgend, nach Bayreuth zurück und hatte jetzt die innere Fassung, um das Schwer-Erträgliche doch zu ertragen — und schweigend, vor Jedermann! — Jetzt schüttele ich ab, was nicht zu mir gehört, Menschen, als Freunde und Feinde, Gewohnheiten Bequemlichkeiten Bücher; ich lebe in Einsamkeit auf Jahre hinaus, bis ich wieder, als Philosoph des Lebens, ausgereift und fertig verkehren darf (und dann wahrscheinlich muß)
Wollen Sie mir, trotz alledem, so gut bleiben, wie Sie mir waren oder vielmehr, werden Sie es können? Sie sehen, ich bin auf einen Grad der Ehrlichkeit angelangt, wo ich nur die allerreinlichsten menschlichen Beziehungen ertrage. Halben Freundschaften und gar Parteischaften weiche ich aus, Anhänger will ich nicht. Möge Jeder (und Jede) nur sein eigner wirklicher Anhänger sein!
Ihnen von Herzen
dankbar zugethan F. N.
735. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 19. Juli 1878>
Gratulire dem feuer- und eisenbahnfesten Lama, obgleich ich wünsche, daß es nun mit diesen abgelegten Proben sein Bewenden habe. — Der Gedanke vom Hausbesitz geht mir im Kopf herum, ich glaube, es ist Vernunft in der Sache. — Ich erwarte sehnlichst den Tag meiner Abreise, es ist sehr heiß geworden. Augen sehr schlimm daran. — Ich denke mir Euch sehr angenehm bei einander — Pläne machen ist das Allerbeste im Leben. Behaltet lieb und denkt Eures
F.
(Es hagelt Rechnungen — aber, es wird sich austoben)
736. An Carl Fuchs in Hirschberg
<Basel, zwischen 20. und 27. Juli 1878>
Also auch Sie, lieber Herr Doktor, sind in Betreff W<agner>’s in die Krisis gerathen! Nun, so werden wir wohl die Ersten sein; in meinem Buche habe ich in dieser Hinsicht die größte Schonung geübt, obwohl über zwanzig Punkte zum Entsetzen aller Wagnerianer in mir die Wahrheit feststeht. Irgend wann wird sie auch an’s Licht müssen — aber dringend bitte ich Sie, ja nichts zu übereilen und alle Gährung erst verbrausen zu lassen, daß es auch in diesen Dingen einen edlen hellen Wein gäbe: Schreiben Sie jetzt nicht über Wagner! Was werden Sie noch alles entdecken! Sie sind ja in der günstigsten Unabhängigkeit von Bayreuth und den andren „Richtungen“; was Wagner und Frau Wagner von Ihnen denken, muß Ihnen ganz gleichgültig sein. W<agner> selbst ist alt und hat keinen Frühling mehr zu erwarten, die Wahrheit aber altert nicht und muß in diesen Dingen ihren Frühling erst noch erleben. — Eine einzige Combination von Fähigkeiten und Kenntnissen berechtigt Sie dazu, das Charakteristische des Stils bei jedem der großen Meister zu beschreiben — zum ersten Male, wie ich meine. Thun Sie dies doch zuerst einmal thesenhaft, aphoristisch, in der knappsten Form und mit haarscharfem Ausdruck. Ein halbes Tausend musikalischer Einzelsätze und Beobachtungen von Ihnen, die Quintessenzen Ihrer Erfahrungen — das giebt Ihnen Namen und Stellung.
Nur nichts Periodisches und Kleines (seien es „Briefe“ oder Aufsätze für Zeitschriften), bevor Sie Sich nicht erst als Ganzes gezeigt haben! — Verzeihung, wenn mein Wunsch, Sie endlich in der Achtung der Achtung-Verleihenden befestigt zu sehen, mich in meinen Rathschlägen zudringlich erscheinen läßt. — (Mein Plan, ein „Jahrbuch der Freunde“ herauszugeben, kann vor 2 und mehr Jahren nicht in Ausführung gebracht werden: Schmeitzner’s Ungeduld soll mich nicht zum Thoren machen. Dies privatissime.) Nichts liegt mir ferner als eine Concurrenz mit so erbarmenswürdigem Zeug, wie die „Bayreuther Blätter“ sind; und überhaupt — eine Orientirung nach irgend einem Bayreuther Sehwinkel. Auch Sie sprechen noch von einer „Spaltung im eignen Lager“. Was geht mich jetzt ein „Lager“ an !!!!! Gar noch gegen Wolzogen! schreiben! wie konnte Ihnen das in den Sinn kommen, lieber verehrter Herr Doktor! Ich weiß mitunter nicht, wie Sie Sich eigentlich taxiren. — Nochmals Verzeihung!
Meinen Bekannten mißfällt Ihr Stil in den gedruckten Sachen. Die Gründe sind 1) die Sätze sind 4mal zu lang 2) Sie affektiren Gelehrtenhaftigkeit, recht künstlerhaft, aber eine schreckliche Geschmacksverirrung (fremde wissenschaftl<iche> Worte und Begriffe im Überfluß) 3) die Hauptsachen kommen nicht stark und stämmig heraus, die Neben-Einfälle überwuchern sie, Sie schneiden nicht genug weg und arbeiten nicht genug um 4) Ihr Geist liebt es spitz zu werden, es ist das Geheimniß der guten Schriftsteller, nie für die subtilen und spitzen Leser zu schreiben.
Nicht wahr, Sie verargen mir diese epistula didactica nicht! — Womit sollte ich auch eine solche ehrliche Mittheilung als Ihre letzte war, vergelten als mit Ehrlichkeit?
Ganz Ihnen ergeben F N.
737. An Paul Rée in Stibbe
Basel, 11 Bachlettenstrasse. <gegen Ende Juli 1878>
Ach, lieber lieber Freund,
heute bin ich Ihnen einmal wieder lästig. Aber an wen mich wenden, da ein direkter Verkehr zwischen mir und meinem alten Freunde Gersdorff einstweilen auf dessen Wunsch unterbleiben muß? Ich habe nämlich von ihm damals als ich meinen eignen Haushalt einrichtete, 100 Thl. entliehen, also vor 2½ Jahr ungefähr. Jetzt ist besagter Haushalt völlig aufgelöst, meine liebe Schwester wieder zu unsrer Mutter definitiv heimgekehrt, mein Einsiedler-Thun neu, vernünftig und idyllisch eingerichtet: da will ich jene Schuld beseitigen und bedarf dazu Ihrer Vermittlung, Sie Armer! Nämlich: Sie werden ersucht, die 2 mitfolgenden Werthpapiere in Geld verwandeln zu lassen, von dem, was Sie dafür erhalten, 112½ Thaler an Gersdorff zu geben (nämlich 12½ als Zinsen nach Verabredung) und den Rest meiner Schwester zu schicken. —
Das ist so viel auf einmal verlangt, daß es mir grenzenlos unbescheiden vorkommt. Kommt es Ihnen auch so vor, so sagen Sie es, ich will’s wahrhaftig nicht wieder thun. Aber Sie sind gegenwärtig immer noch meine einzige Zugbrücke zum guten Gersdorff (dem armen Nerina-Närrchen und Nerino-schäfchen — Pardon!) In wenigen Tagen ziehe ich mich in die allerhöchste Einsamkeit und Verborgenheit zurück, der Sommer ist überstanden, schwer genug.
Ihr letzter Brief, wie alle Ihre Briefe thaten meinem Herzen wohl und erweckten wieder manche Hoffnungen. Bei allem Guten, was Sie thun und vorhaben, wird auch für mich der Tisch gedeckt, und mein Appetit ist sehr lebendig nach Réealismus, das wissen Sie.
Meine sonstigen Bekannten und Freunde (mit ganz wenigen Ausnahmen) befinden sich, als ob ich ihnen den Milchtopf umgestoßen hätte. Gott helfe ihnen — ich kann nicht anders.
Treu, obwohl heute sehr
unbequem (wie die Sommerfliege auf
meiner Hand)
Ihr Freund F Nietzsche
738. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Basel, 26. Juli 1878>
Verehrteste Frau, nun muss ich mich doch auf ein paar geschriebene Abschiedsworte beschränken, so gerne ich noch einmal einen Abschieds-Nachmittag bei Ihnen zugebracht hätte. Aber das „Schicksal“ wollte es nicht: Sie wissen, worin mein Schicksal liegt, dem ich mich geduldig beugen muss. Jetzt fort in die Berge, in die höchste Einsamkeit, fort, fast möchte ich sagen: zu mir. Aber auch da werde ich immer dankbar und herzlich Ihrer gedenken
Dr F. Nietzsche.
739. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, Juli 1878>
Meine liebe Elisabeth
vor meiner Abreise an Dich noch eine Zeile. Es ging und geht mir miserabel, bei der unausstehlichen Basler Hitze, die alle Gesunden krank macht. Nun noch ein paar Tage! — Samstag und Sonntag war ich auf der Frohburg — ach wie heiß auch dort! Aber immerhin menschenmöglich. Zu Mittag 90 Personen am Tisch; ich aß weder zur Mittags- noch Abendtafel mit, aus den bekannten Gründen, froh daß mein Magen Milch und rohe Eier nicht verschmähte. — Hohenemsers sehr freundlich und erfreut. Die Frl. Kopp und die Andern senden Dir (heute auch noch einmal brieflich an mich) die „ergebensten Empfehlungen.“
Die verlangte Berechnung folgt anbei.
Das Hauskauf-Drama möge gut ablaufen, weder als Komödie noch als Tragödie. Aus der Ferne sieht es wie ein „bürgerliches Rührstück“ aus.
Von Dr Fuchs lange, sehr intelligente Briefe.
Rohde kommt definitiv nach Tübingen.
Die angenehmen Strümpfe sollen gleich mit in’s Gebirge. Ich danke allerschönstens, ebenso für die Plätzchen.
Unserer guten lieben Mutter herzliche Grüße. Ich gebe nächste Woche eine Notiz von meiner Reise
F. N. In Liebe
740. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Grindelwald> 2 August <1878>
Dir und unsrer lieben Elisabeth die Mittheilung, daß ich auf einem schönen Berge des Berner Oberlands gegenwärtig wohne, anderthalb Stunde von der Scheidegg entfernt, die Ihr ja beide kennt. Gienge es nur meiner Gesundheit besser!, die zuletzt doch entscheiden muß, ob ich hier längere Zeit bleiben kann — was ich sehr wünsche. Seit gestern ist das Wetter günstig.
In herzlicher Liebe F. N.
Adresse: Prof. F. N per adr. Herrn Bohren-Ritschard in Grindelwald, Berner Oberland.
das Gasthaus ist 6600 Fuß hoch gelegen
741. An Mathilde Maier in Mainz (Postkarte. Fragment)
<Grindelwald, vermutlich 6. August 1878>
[+ + +] Wagner<s> Größe können Wenige so sicher überzeugt sein, wie ich: weil Wenige so viel davon wissen. Trotzdem bin ich aus einem unbedingten Anhänger ein bedingter geworden: wie wir ja zu allen Größen der Vergangenheit stehen; ja wie es mir mit meiner eigenen 10jährigen letzten Phase geht — ich billige sie durchaus, kenne aber einen höheren Standpunkt. In Betreff W<agner>’s hatte ich eben das Höhere, sein Ideal geschaut — damit kam ich nach B<ayreuth> — daher meine Enttäuschung. — Zuletzt eine These: die eigentlichen Wagnerianer sind gute, sehr gute Menschen, aber gar keine Musikanten (wie Sie!) und alle mehr oder weniger Obskuranten (ich denke an Ihren vorletzten Brief.) Nun lachen Sie einmal und bleiben Sie gut
Ihrem
F. N.
(Um’s Himmels willen) lesen Sie über Barockstil J. Burckhardts Cicerone!!!
742. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Grindelwald> 6 August 1878.
Nun, geehrtester Herr Verleger, da haben Sie ja die große Handschrift des großen Mannes. Trotz dem daß er so artig dankt, glaube ich, im Vertrauen gesagt, er wirft, wenn er wirklich im Buche liest, es an die Wand. Dies gilt aber dann mir, nicht Ihnen. —
Aus der höchsten Gebirgs-Einöde Ihnen einen Gruß zurufend
F. N.
743. An Paul Rée in Stibbe
<Grindelwald, 10. August 1878>
Können Sie, geliebter Freund, wenn Sie einmal fortreisen, nicht nach der Schweiz kommen und zu mir hinauf, auf einen Berg bei Grindelwald (6—7000 Fuß), wo ich, inmitten unglaublicher Naturruhe und -Größe, bequem (obgleich bei schlechter Gesundheit) throne. Oder wollen wir Mitte September in Bex zusammen kommen? Oder in Baden-Baden? — Oder geht es alles nicht! — Auch für mich kann ich nicht bürgen. — Herzlichen Dank für das leidige Geschäft — es soll nicht wieder geschehen. — Alle meine Freunde sind jetzt einmüthig, daß mein Buch von Ihnen geschrieben sei und herstamme: weshalb ich zu dieser neuen Autorschaft gratulire (falls Ihre gute Meinung sich nicht verändert hat) heute ein ungeheurer Brief Lipiners, ganz gegen Sie gerichtet. Es lebe der Réealismus und mein guter Freund!
F. N.
Verrathen Sie mich Niemand! Ich brauche unbedingte Ruhe und Einsamkeit.
Adr.: P. N. per adr. Herrn Bohren-Ritschard in Grindelwald (Schweiz)
744. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Grindelwald, 13. August 1878>
Mit großer Freude habe ich die Geschichte von der Haus- und Heimat-begründung gehört: wer weiß, ob da nicht auch für meine alten Tage das Plätzchen gefunden, das Tischchen gedeckt ist! — Mir geht es nicht gut, ich bin fast mißtrauisch gegen die hohe Höhenluft: oder ist es das schlechte Wetter fortwährend? Kopf und Magen machen sehr zu schaffen: kaum Eine vergnügte Stunde erlebt. Umgebung das Herrlichste, was ich sah: aber mir fehlt die Stimmung. Höhe des Hotels gegen 7000 Fuß, ich bin der erste und höchste Pensionär der ganzen Schweiz, unbestreitbar. — Von Lipiner ein Brief, lang, bedeutend für ihn sprechend, aber von unglaublicher Impertinenz gegen mich. Den „Verehrer“ und seinen Kreis bin ich nun los — ich athme dabei auf. Mir liegt sein Werden sehr am Herzen, ich verwechsele ihn nicht mit seinen jüdischen Eigenschaften, für die er nicht kann. Euch Beiden herzlich dankbar
F.
Gersdorff hat mir seines Vaters Tod angezeigt. —
745. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte. Fragment)
<Interlaken, 25. August 1878>
Alle Ihre letzten Nachrichten [+ + +] möge das, was Sie vornehmen, [+ + +] so beweisen! Dies wünsche ich von [+ + +] Exemplar der IItn Aufl. erbitte ich mir umgehend an meine Adresse: „Interlaken, Hôtel Unterseen.“ — Wissen Sie die Adr<esse> von Hr. Köselitz? — Daß W<agner> gegen mich Einwendungen öffentlich macht, ist mir sehr erwünscht, ich hasse alle Dunkelei und Munkelei der Gegnerschaft; anderseits wünsche ich um Alles nicht mit den Tendenzen der B<ayreuther> Bl<ätter> verwechselt zu werden. Sie auch nicht, lieber Herr Verleger!
F N.
746. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Interlaken, 25. August 1878>
Nicht wahr, Ihr habt mir nur einmal bis jetzt in den Ferien geschrieben? Aber doch meine 2te Karte erhalten? — Mir ist es so schlecht gegangen und geht so schlecht. Ganz erschöpft durch Krankheit verließ ich den Berg und gieng nach Interlaken. Hier versuche ich, nach Art meiner Badener Lebensweise, mit Bädern und Spazierengehen gesund zu werden: bis jetzt gieng es nicht vorwärts. Fast denke ich daran, mich dem guten Dr. Wiel (Ütliberg bei Zürich) wieder in die Arme zu werfen. Der Magen ist gar zu schlecht — der Kopf dazu! Übrigens läßt sich für Interlaken sehr viel sagen. Adresse: Interlaken, Hôtel Unterseen. — Es geht Euch doch gut? Ich freue mich Eures häuslichen Glücks gedenkend.
Herzlich gesinnt
F N.
747. An Franz Overbeck in Zürich (Postkarte)
<Interlaken, 25. August 1878>
Mein geliebter Freund, bis jetzt ist’s mir wenig geglückt. Ich war auf einem hohen Berge, dem Männlichen bei Grindelwald, verließ ihn nach drei Wochen, weil meine Gesundheit immer schlechter wurde. Jetzt habe ich meine Hoffnung auf Interlaken gesetzt, wo ich mir ein Leben wie das von Baden im März des Jahres eingerichtet habe: es will aber nicht vorwärts. Vielleicht daß ich zuletzt dem Dr. Wiel auf Eurem Ütli mich wieder in die Arme werfe. — Meine Adresse ist hier: Hôtel Unterseen. Aber verrathe sie nicht! Ruhe ist mir nöthig, wie dem Schiffer auf stürmischer See: vergleiche Horazen’s Ode „otium etc. In herzlicher Liebe immer an Dich denkend und ein gutes Wiedersehn hoffend
F N.
Ergebenste Grüße Deinen verehrten Zürichern und namentli<ch> Deiner Frau.
748. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Interlaken, 29. August 1878>
Geehrtester Herr Verleger, heute bitte ich Sie, mir
Schreber,
Heilgymnastik
neueste Auflage
hierher zu senden. Interlaken, Hôtel Unterseen.
Sie haben doch meine letzte Karte und meinen Dank erhalten? — Gesundheit erbärmlich; aber es soll vorwärts!
Ganz der Ihrige
Dr F N.
749. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Interlaken, 3. September 1878>
Es macht mir immer Freude, an Sie zu denken: könnte ich es Ihnen nur recht zeigen! Aber über Nicht-Briefschreiben entschuldige ich mich nicht, bei Ihnen allein nicht, mein lieber hülfreicher Hausgenius. Über Ihren langen und reichen Brief hatte ich eine rechte Herzensfreude, denn aus ihm klang das Glück des Gelingens, des Gebärens und Geborenhabens heraus. — Andre thun mir wehe mit Briefen, Sie glauben nicht, was für Zeug ich erlebe, nicht vernünftig genug, um eine Sentenz draus zu machen. — Auch W<agner> ’s Polemik rechne ich unter das „Allzumenschliche.“ — Freund Widemann hat mir seine sinn- und kraftvolle Musik geschickt, ich ehre seine Verborgenheit und sende ihm durch Sie innigsten Gruß und Wunsch. Das Gute möge immerdar siegen!
F. N
750. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Interlaken, 3. September 1878>
Endlich geht es vorwärts, die Kraft zum Spazierengehen, Appetit, Schlaf, alles nimmt zu. Nun heißt es Geduld und Consequenz, um nichts wieder zu verderben. Bis Ende September will ich also hier bleiben. Nun habe ich alle Eure Briefe beisammen, mit herzlichstem Danke; ich folge mit aller Theilnahme dem Hauswesen und seiner Umwandelung und Ein-Nietzschung. Aber vor Weihnachten seht Ihr mich nicht, so leid es mir thut. Meer ist meiner Augen wegen schlimm, es macht mir übel. Die Broschüre „non volumus“ ist wohl von Reuter? —
In Liebe
Euer <F.>
751. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
Interlaken, Hôtel Unterseen. <3. September 1878>
Titelblatt und Vorrede ganz in Ordnung, bis auf Firma. Natürlich müssen die übr<igen> Exempl<are> von Auflage 1 dieselben Titel und Vorrede bekommen wie Aufl. 2. — Gestern las ich W<agner>’s bitterböse, fast rachsüchtige Seiten gegen mich. Himmel, wie ungeschickte Polemik! — Meine Bitte um Schreber, Heilgymnastik haben Sie erhalten? — Ich bin Bismarck’s Meinung, so lange die deutschen Zeitungen wie bisher gedruckt werden. Für gewisse Bücher sind latein<ische> Lettern gut, weil sie dem allzuschnellen Lesen entgegen sind. Näheres über die ganze Frage zu Weihnachten, wo ich Sie zu sehen hoffe.
Ihr ganz ergebener Dr F. N.
Und den besten Dank für Ihren Brief!
752. An Franz Overbeck in Zürich (Postkarte)
Interlaken, Hôtel Unterseen, Dienstag. <3. September 1878>
Es geht vorwärts, aufwärts, nach langem Versuchen und Besinnen: Jetzt heißt es nur, mit Geduld und Consequenz bis Ende September fortfahren. Freilich muß ich dabei auf Zürich, auf Dich verzichten. Vor wem, liebster Freund, möchte ich mich jetzt lieber aussprechen als vor Dir, vor wem könnte ich es! Es geht Vieles in mir um. Das von Außen Kommende habe ich fast nur abzuwehren. Abscheuliche Briefe. W<agner>’s bitterböse unglückliche Polemik gegen mich im Augustheft der Bayr<euther> Bl<ätter> habe ich nun auch gelesen: es that mir wehe, aber nicht an der Stelle, wo W. wollte. — Gestern machte ich einen Rechnungsabschluß über die letzten Jahre und war glücklich dabei — ich habe in fünf, sechs wesentlichen Punkten mir Freiheit und Unabhängigkeit erobert, mit großen Opfern freilich. Nun muß die Gesundheit vorwärts, dann kommt auch wieder mehr Freude. Herzlich Dir und den Deinigen ergeben.
F.
753. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Interlaken, 10. September 1878>
Verehrte Frau, in tiefem Gefühle der Dankbarkeit und des persönlichsten Zutrauens habe ich Ihren Brief gelesen: oh wenn Sie wüßten, was für eine Ausnahme derselbe war, unter allen Briefen, die ich seit Monaten bekommen habe! (Die meisten verleugnen mich in Einem Athem dreimal und krähen dabei selber wie Hähne.) So wollen wir denn ruhig in Geduld wachsen und zusehen, was, bei aller Buntheit der Meinungen und Bestrebungen, unverlierbar, einig, einfarbig, treu und gut bleibt. Im nächsten Winter will ich es schon machen, daß Lörrach wieder näher an Bachlettenstraße liegt. Anfang Oktober komme ich zu Ihnen
Inzwischen den herzlichsten Gruß.
754. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte. Fragment)
<Interlaken, 10. September 1878>
Heilgymnastik eingetroffen und schon eifrig b<enutzt. Dank> für Ihre guten Wünsche, da sehr viel b<ei meinem Zu>stande zu wünschen übrig bleibt. — Heute (nur noch eine) Bitte: senden Sie mir die Bayreuth<er Blätter nicht> allmonatlich, sondern geben Sie mir, was <von ihnen im Laufe eines> Jahres erschienen ist, dann zusammen. Wozu sollte ich mich verpflichten, Monatsdosen Wagner’schen Ärger-Geifer’s einzunehmen! Ich möchte auch fürderhin über ihn und seine Größe rein und klar empfinden: da muß ich mir sein Allzumenschliches etwas vom Leibe halten. — Dies verstehen Sie wohl und gut, recht aus dem Vertrauen heraus, welches wir, wie ich denke, zu einander haben.
Ergebenst
F. N.
755. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Interlaken, 13. September 1878>
Verehrte Frau, ich komme auf Einen Tag nach Basel und möchte Ihnen einen Besuch machen, nämlich nächsten Mittwoch Nachmittag, falls es meine Gesundheit irgend erlaubt. Darf der Patient um eine Tasse Thee und einen Zwieback bitten? — Gesundheit sehr unangenehm. — Dienstag reise ich von hier ab: bis dahin Interlaken, Hôtel Unterseen.
Die herzlichsten Grüße! Sie bekamen doch meine Karte?
Ihr ergebenster
Prof. Dr F Nietzsche
756. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
Interlaken <13. September 1878>
Nun, meine Lieben, was werdet Ihr sagen? Ich will zu Euch kommen, es geht mir so schlecht, daß ich mir nicht zu helfen weiß — und das Winterhalbjahr rückt heran, mir zum Grauen. Es war nur ein Aufflackern, von dem ich Euch schrieb. Nächsten Freitag Nachmittag will ich bei Euch sein, Dienstag von hier fort nach Basel. Könnt Ihr schnellstens hierher noch schreiben? — Oder meint Ihr, ich solle zu Wiel nach Zürich, — Rothpletz-Overbecks haben mich so eingeladen. Aber wo habe ich die Ruhe und Pflege wie in Naumburg, so scheint es mir. Doch, wie gesagt, schreibt was Ihr denkt, ob es Euch paßt. Ich könnte bis Mitte Oktober bleiben.
Euer F.
in herzlicher Liebe
757. An Franz Overbeck in Zürich (Postkarte)
Interlaken Dienstag. <17. September 1878>
Lieber Freund, wenn die verehrte Hausgebieterin von Falkenstein damit zufrieden ist, so komme ich auf ein paar Tage. Seit ich die letzte Karte schickte, ist es mir so schlecht ergangen, daß ich wie auf der Flucht bin und kaum weiß, wo ich mein Haupt niederlegen soll. Ich habe mich für den Rest der Ferien bei meiner Mutter in N<aumburg> angemeldet: vorher möchte ich aber gerne Euch sehen. Heute reise ich nach Basel. Donnerstag (Mittag ungefähr) werde ich, falls ich keinen Gegenwink erhalte, in Zürich ankommen, also wie voriges Jahr. (Welch’ Jahr liegt dazwischen! Schauder und Graus!)
In Treue der Deine
F. N.
758. An Unbekannt in Zürich
<Zürich, vermutlich September 1878>
Herzlichstes von Ihrem Freunde, welcher hier in Zürich wohnt, bei Frau Rothpletz „Haus Falkenstein“
759. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Zürich, 21. September 1878> (Samstag)
Von hier aus (Haus Falkenstein) meine Herzenslieben, die Mittheilung, daß ich, Eurem Vorschlage gemäß, Dienstag in Naumburg eintreffen will (falls die böse Gesundheit mir keinen Streich spielt!) Also gegen Mittag, von Leipzig her kommend, da ich von Zürich über Lindau reise. (Abreise Montag früh, gegen 10 Uhr)
Man ist hier sehr gut, und hegt und pflegt mich, wie ich’s nicht verdiene.
Eben habe ich Zimmergymnastik gemacht. — Die herzlichsten Grüße voraussendend
Euer F.
760. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
Naumburg. <17. Oktober 1878>
Also, geehrtester Herr, es gab eine Verwechselung. Ich bitte Sie um Zusendung von
Die Entstehung des modernen Frankreich
Zweiter Band, erste Abtheilung
von H. Taine. Deutsch.
soeben erschienen. bei Günther, Leipzig.
Eben im Begriff abzureisen, nach sehr schlechten Wochen, recht leidend.
Morgen in Basel.
Gehe es Ihnen gut
F. N
761. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 19. Oktober 1878>(Morgens)
Hier sitze ich, den Kopf voll Schmerzen. Die Reise wie ein böser Traum hinter mir. Ich brachte Regenwetter mit nach Basel. Wie gut waren die Brödchen! Auch habe ich schon ausgepackt. Viele Zeichen Eurer Liebe sind um mich, an Anderes mir Erwiesene denke ich fortwährend. Verzeiht, wenn ich öfter mürrisch war — das Joch der Krankheit drückt mich zu schwer. Auch der arme Rée ist krank, eine Art Nervenfieber. — Ich kaufte sofort van Houten und mußte 4 frs. 50 für Pfund zahlen! —
Wie wird’s nun gehen! — Bei Euch war ich noch nie mit so herzlicher Empfindung und habe es Euch gar nicht merken lassen. Meine Lieben und Guten, ich bin Euch sehr dankbar.
Euer
F.
Der Zug kam erst um 7 Uhr Abends nach Basel!!!
762. An Paul Rée in Stibbe
Basel den 20 Oct. 1878.
Ach, liebster guter Freund, mit dem schmerzlichsten Bedauern lese ich, eben von der Reise heimgekehrt, die Nachricht Ihres Krankseins. Was soll aus uns werden, wenn wir in unsern „besten Jahren“ so elend dahinwelken (denn auch ich habe elende Monate hinter mir und beginne den Winter mit trüberen Aussichten als je! Will uns das Schicksal ein schönes Greisenalter aufsparen, weil vielleicht unsre Denkweise diesem am natürlichsten, wie eine gesunde Haut, anliegt? Aber müßten wir da nicht zu lange warten! Die Gefahr wäre, daß wir die Geduld verlören. — Mir fällt gar nichts tröstliches ein, denn daß Sie sich durchschlagen und mit Ihrer Kraft auch ein Stückchen von meinen Bestrebungen, meinen Hoffnungen verwirklichen würden, das war bis jetzt bei mir Glaubens-Artikel. Muß ich jetzt nicht fürchten, daß auch Sie wieder nach einem Andern ausschauen lernen, der Ihnen die Aufgabe abnimmt? Ach, wie elend ist es, nach Erben zu suchen, nicht für unser Thun, sondern für unser Thunwollen. Sie hören, ich rede in ganz jämmerlichem Egoismus und verwünsche Ihr Kranksein, weil mein bestes Hoffen und Wünschen zugleich dabei krank wird.
Sie sind besser als ich, das habe ich immer geglaubt; und daß Sie sich vom Krankenbette aus meines Geburtstages erinnerten und mir schrieben, werde ich als Psychologe ebenso wenig wie als Freund vergessen.
Von ganzem Herzen der Ihrige
F Nietzsche
763. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 21. Oktober 1878>
Nun seit 9 Tagen ununterbrochen Kopfschmerz. Sonnabend Nachmittag gieng ein Anfall los wie Donnerstag, vor Schmerz <konnte ich in der> Nacht nicht schlafen. — Heute erstes Colleg gehalten. Sehr übles Baslerisches Wetter, matt, feucht. — Gestern Dr Förster bei Overbecks gegrüsst, bot ihm mein Concertbillet an. —
Wenn Ihr einmal an Frau Schwenk schicken müsst, so bitte ich noch, auf mein Conto, um eine grössere Partie Zwiebäcke (doppelt geröstete) und Plätzchen, von Jedem für Eine Mark. Geht das? — Ich bin noch 15 Gr. schuldig geblieben, das rechneten wir auf dem Bahnhofe aus: dann für Frau Dr Eiser wieviel? bitte. — Meine allerbesten Wünsche und Dankesgrüsse an Euch, mir ist es noch als ob ich halb und halb in Naumburg wäre, wenn ich in lauter Naumburger Erinnerungen krame.
Lebt recht wohl. Euer F.
764. An Marie Baumgartner in Lörrach
Basel, Bachletten 11. <23.Oktober 1878>
Hochverehrte Frau,
da bin ich wieder, nach den elendesten Wochen, trotz Heimat!
Nächsten Samstag Nachmittag mache ich den Versuch, Sie zu Hause zu treffen (ich habe nur diesen Tag frei) Ist es Ihnen genehm, so bedarf es keiner Zeile: aber seien Sie nicht böse, wenn meine Kränklichkeit mir vielleicht im letzten Augenblick einen Streich spielt.
Mit herzlichstem Gruß und
Wunsch der Ihre
F Nietzsche
765. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Basel, 28. Oktober 1878>Montag.
Ach, verehrte Frau, es kam so, wie <ich> dachte: ein bitterböser Sonntag der Schmerzen nach unsrem guten Nachmittag, welchen Ihre große Güte mir schenkte und meine Gesundheit erlaubte. — Nachträglich will ich doch eingestehen, daß es nach meinem September-Besuch genau dieselbe Sache war: ich mußte meine Ankunft in Zürich abtelegraphiren und lag zu Bette. Sie sehen, wie jämmerlich Ihr Freund daran ist, wie unfrei sein Leib, und warum er so nach Freiheit des Geistes dürsten muß! — Ich sende Ihnen den ergebensten Ausdruck meines Dankes und meiner Pietät.
Beiläufig: (ich bin neulich etwas erschrocken, daß Ihr lieber Sohn von dem litterar<ischen> Plane etwas erfahren hat. Legen Sie ihm Stillschweigen auf, bitte, bitte, bitte!!)
In Verehrung der Ihre
F N.
766. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 28. Oktober 1878>Montag.
Die erste Collegien-Woche tapfer durchgesetzt. Dafür lag ich gestern, Sonntag, wo die Karte kam, krank zu Bette, die alte Geschichte. — Das Wetter bisher ungünstig, immer Föhn oder Regen, zuletzt gegen 40 Stunden Landregen: — Alles, Arbeit, Kost, Schlaf, Gehen ist so genau darauf eingerichtet, daß ich das Kolleg lesen kann. — Eine sehr dicke wollne Decke, welche zweimal über das Bett gelegt werden kann gekauft (für 6 frs., im Ausverkauf) — Nun geht die Woche wieder los, Muth, Muth! — Mit dem Schinken bin ich noch nicht fertig, die Wurst noch nicht angefangen. Sendet mir ja nichts von solchen Dingen wieder, bevor ich darum bitte — damit es nicht zuviel vom Schweine werde. — Das Kistchen ist noch nicht da. Mit den allerherzlichsten Grüßen. Sorgt Euch nicht. Geht es nicht, so geht es nicht.
Euer F.
Die Postkarten werden im Hause gelesen, Vorsicht!
767. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 3. November 1878>
Hier, meine Lieben, den Wochenbericht. Gestern mußte ich, mit bitterem Gefühle, zum ersten Male das Colleg aussetzen, denn von Donnerstag Abend an gieng es böse. Heute (Samstag) habe ich wieder gelesen. Kalt ist es, unter Null; seit vorgestern heize ich. Holz sehr theuer. — Dienstag kam die gute Kiste, etwas lädirt; mit vielem Dank Briefe und Inhalt empfangen. Ich frühstücke immer noch wie in Naumburg, zu gleicher Zeit und im Bette. — Den Magen habe ich mir seit der Rückkehr noch nicht verdorben. Das Braunschweiger Fleisch ist mir alles zu sehr gesalzen, Schinken ebenso wie Wurst. — Heute zersprang meine Brille.
Nun meine herzlichsten Grüße
Euer Fr
768. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 9. November 1878>
Meine liebe Mutter und Schwester,
heute ist Sonnabend, wilder Föhnsturm, eiskalt mit Regen, seit gestern Abend; die ganze Nacht durch schlaflos. Das Colleg eben gehalten, die Woche ist überstanden. — Den vorigen Sonntag kam plötzlich ein sehr heftiger Anfall, so wie am Tage der Abreise: es sind jetzt 10 Sonntage hinter einander. (Also trotz dem Freitag vorher!)
Overbecks hatten mir ein wunderschönes gebratenes Huhn südfranzös<ischer> Abkunft gebracht, ich habe 4 mal davon gegessen, Frau O<verbeck> hatte es selber gebraten.
Donnerstag war die gute Frau Baumgartner auf eine 1/4 Stunde bei mir. Abends Vortrag Burckhardt’s über Talleyrand. —
Die Naumburger Backsachen bewähren sich sehr, namentlich die Zuckerbrödchen; ich verglich sie mit den berühmten Biscuits de Reims, die hier auf der Messe zu haben sind: aber mir gefallen sie viel mehr, auch viel billiger sind sie. — Die Braunschweiger Wurst hat jetzt auch meine Sympathie. — Für Tapioca und Äpfelchen habe ich, glaube ich gar, noch gar nicht mich bedankt! —
So gehen meine Tage fort, höchst regelmäßig — höchst vorsichtig!!
Eurer Liebe von Herzen eingedenk
F.
2 Stere Holz, alles inbegriffen = 42 frs. 70 ct
Ich bitte recht schnell um Gustav Krug’s Adresse!
769. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Basel, 13. November 1878>
Bitte, geehrtester Herr, umgehend um Zusendung von
- Thukydides ed. Stahl
Leipz. Tauchnitz 1873 und 1875
- Thukydides lib. I und II ed. Schöne
Berlin Weidmann 1874
- Tillmanns, Commentar zu Thukyd<ides>
Teubner 1876.
Wie geht’s? Bin in voller Arbeit. — Siegfr<ied> Lip<iner> ist sehr an Breitkopf und Härtel gebunden, die ihm für Dichtungen im Umfange des Prometheus 3—400 Thaler zahlen sollen. —
Mit ergebenstem Gruß und Wunsch immer der Ihrige
N.
770. An Gustav Krug in Bonn
Basel den 14 Nov. 1878.
Dein herzlicher Geburtstags-Gruß, mein lieber Gustav — er traf mich im Krankenbette — wird hiermit von mir erwiedert, so gut es geht (und es geht mir nicht gut —) Alles, was Du schriebst, kam wie von einer guten Insel thätiger zufriedner hoffender Menschen, es that mir recht wohl, dies zu hören. Bei mir ist es anders; wie als ob ich durch eine gefährliche Meerenge in diesen Jahren hindurchschwimmen müßte (und nicht nur hinsichtlich meiner Gesundheit.) Es ist weit „von Sestos nach Abydos“. Aber mein Muth ist ungebrochen. —
Bleibe mir gut und im Herzen nahe, was auch komme. Laß Dich namentlich nicht durch mein Schweigen und meine nur allzu nothwendige Brief-Unseligkeit beirren. Auch heute bin ich sehr kurz, muß es sein.
Dein Haus- Kindes- und Eheglück möge von guten Geistern fürderhin bewahrt sein.
Ich grüße Dich in alter Liebe
Dein
Friedrich Nietzsche
771. An Marie Baumgartner in Lörrach
<Basel,> 15 Nov 1878.
Verehrte liebe Frau Baumgartner, nur ein paar Worte!
Über Ihre Dichtungen als Gedichte nur eine Meinung zu haben wäre ganz und gar von mir unbescheiden. Genug, Sie scheinen mir im Elemente Ihrer Sprache und der kunstvollen Form sich heimisch zu fühlen; im Übrigen weiß wohl ein Gedankendichter wie Herr Prudhomme zu rathen.
Ihre Dichtungen aber als Wahrheiten betrachtet, die Sie sich und mir sagen: ja — da bedauere ich Sie ebenso sehr als ich mich beglückwünsche. Denn Sie haben an mir viel, viel weniger gefunden als Sie erwarteten, und ich weiß jetzt, daß ich unendlich mehr empfangen habe und besitze, als ich verdiene — nämlich eine zuverlässige treue Seele, welche überdies den Ehrgeiz hat, die Treue auf Erden mir gegen alle skeptischen Einflüsterungen zu beweisen.
So empfinde ich es: thut es Ihnen wehe? — Ich hoffe nicht. —
Die letzten Bissen des Manuscriptes, die ich Ihnen gestern gab, sind am schwersten zu kauen, es beschämt mich, Sie so <zu> bemühen. Fangen Sie mit den letzten Seiten an und endigen Sie mit den vordersten. Oder wie Sie wollen.
Ganz und gar ergeben
und dankerfüllt
F N.
Wissen Sie, daß es seit lange meine Empfindung ist „ich verdiene alles das nicht, was ich an Freundschaft und Liebe erfahren habe“, daß ich mitunter gegen meine Freunde voll Verdruß bin, weil ich Ihnen nicht wiedergeben kann. So ist es: geben ist seliger schon als wiedergeben, aber immer nur nehmen, nehmen müssen — das kann einen unselig machen. Zu ändern ist es nicht, hier steht das Fatum vor uns.
772. An Reinhart von Seydlitz in München
<Basel,> 18 Nov. 1878.
Seien und bleiben Sie mir, mein geliebter Freund, mit Ihrer herzlichen guten Seele gesegnet! So, wie ich es hier sage, denke ich immer an Sie. Briefe schreiben geht nicht mehr, meine ältesten wie meine letzten Freunde dürfen es nicht mehr von mir erwarten. Ich habe meinem Amte und meiner Aufgabe zu leben — einem Herrn und einer Geliebten und Göttin zugleich: viel zu viel für meine schwache Kraft und tief erschütterte Gesundheit. Äußerlich gesehen, ist es ein Leben wie das eines Greises und Einsiedlers: völlige Enthaltung von Umgang, auch dem der Freunde, gehört dazu. Trotzdem bin ich muthig, vorwärts, excelsior! —
— Über Wagner empfinde ich ganz frei. Dieser ganze Vorgang mußte so kommen, er ist wohlthätig und ich verwende meine Emancipation von ihm reichlich zu geistiger Förderung. — Jemand sagte mir „der Karikaturenzeichner von Bayreuth ist ein Undankbarer und ein Narr“ — ich antwortete: „Menschen von so hoher Bestimmung muß man in Bezug auf die bürgerliche Tugend der Dankbarkeit nach dem Maaße ihrer Bestimmung messen.“ — Übrigens bin ich vielleicht nicht „dankbarer“ als W<agner>. — und was die Narrheit betrifft —
Aber vielleicht habe ich schon zu viel gesagt, der „Wagnerianer“ regt sich in Ihnen und sucht nach Steinen...
Nein, lieber Freund, Sie werfen nicht nach mir, das weiß ich. Aber thun Sie mir auch die Ehre an, mich nie zu vertheidigen. Meine Position ist dafür zu stolz, Verzeihung! — Ich denke, meine Freunde soll<en> mit mir zusammen auch stolz sein.
Der lieben Frau meines Freundes erwiedere ich treulich alles Gute und Herzliche, was sie mir durch meine Schwester sagen ließ.
Ich bin und bleibe
der Ihrige
Friedrich Nietzsche
773. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 23. November 1878>
Ach, meine Lieben, zwei Anfälle in Einer Woche, (Sonntag Abend und Montag) und dann wieder Donnerstag Abend und Freitag: Sonntag hatte ich zum ersten Male versucht, in’s Conzert zu gehen, mußte aber nach wenigen Stücken hinaus, der Kopfschmerz war da. Am Donnerstag war die gute Frau Baumg<artner> da, mit Blumen Trauben Zwiebäcken mich beschenkend, aber es schadete mir doch. — Ich habe Euch doch mit der kleinen Randbemerkung meiner letzten Karte nicht beleidigt? Ich sehe es überall, man muß mit einander geduldig sein, jeder sagt irgendwann etwas Dummes und Übereiltes. Also verzeiht. Overbecks hatten Montag Gesellschaft und brachten mir etwas Rehbraten.
Adieu, meine liebe M<utter> und Schw<ester>
774. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte. Fragment)
<Basel, 23. November 1878>
[+ + +] Alles eingetroffen. [+ + +] <Fr>age: können wir — wie [ + + + ] — bei dem „Anhange:: <Vermischte Mei>nungen und Sprüche (so [+ + +] Haupttitel M<enschliches> Allzum<enschliches> E<in> B<uch> f<ür> f<reie> G<eister> die Seitenzahl und Nummernzahl des Hauptbuches fortsetzen? also daß die erste Seite als p. 379, das erste Stück als 639 erscheint? — Der Umfang des Ganzen 8 Druckbogen oder etwas Weniger. —
Das litterarische Centralblatt Zarncke’s (das erste Gelehrtenblatt D<eutschland>’s.) soll ja sehr anständig von M. A. geredet haben. In Edeling’s Litteraturz<ei>t<ung> über G<eburt> d<er> Tr<agödie> und „Strauß“. Ich sehe nichts davon und will’s nicht. Ich liebe die Trommel nicht, aber ich verstehe auch, daß Sie nichts gegen Janitscharenmusik hätten? Seien Sie guten Muthes!
Herzlich ergeben Ihr F N.
<Ich habe meinen Bei>trag für B<ayreuther> Bl<ätter> schon bezahlt, an Overbeck.)
775. An Marie Baumgartner Lörrach
<Basel, 26. November 1878>Dienstag.
Herzlichen Dank, verehrte Frau, ich lebe unter lauter Erinnerungszeichen (von Ihnen und an Sie), Blumen, Trauben, Zwiebäcken, Abschriften — „und siehe! es war alles sehr gut“ — heißt es in der Bibel.
Donnerstag Abend konnte ich Sie nicht wieder begrüßen — ein heftiger Anfall, der mir auch den Freitag raubte, kam heran. Seitdem habe ich immer gekränkelt und mit Mühe meine Collegien durchgesetzt. Meine Angehörigen verlangen: Aufhören! Aufgeben! — — — —
Ich selber warte und warte und bin immer noch geduldig wie ein Esel, weil immer noch voll ein wenig Hoffnung — was am Ende erst recht eine Eselei ist. —
Darf ich mir bei Ihrem Bäcker für einen Franken oder mehr solche Zwiebäcke bestellen, klein, ganz durchröstet und braun? So sind sie mir am zuträglichsten.
Meine Schwester fragte brieflich bei mir an, ob es jetzt nicht auch in Frankreich Dichter gebe, wie Hr’n Lipiner in Deutschland, nämlich einen gewissen M Prudhomme? — Ganz zufällig.
Ich grüße Sie von Herzen
als Ihr dankbarer
F. Nietzsche.
(Und was soll aus Ihren guten Gedichten werden?)
776. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Basel, 30. November 1878>
Wie gut Sie für mich gesorgt haben, verehrte Frau — und wie beschämend-schnell! (meine Bitte erscheint mir wie eine rechte Unbescheidenheit — aber gut ist der Zwieback; und die Pflaumen „mischen das Angenehme mit dem Nützlichen“ nach Horaz.
Mir gieng es inzwischen abscheulich. Ach, Geduld! Und woher Geduld? Und wozu Geduld! — Genug, ich habe sie noch.
Herzlich ergeben
F N.
Die Blumen zieren und erfreuen immer noch. —
777. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 30. November 1878>Samstag.
Ach, es gieng inzwischen so schlecht. Alle drei Tage starke Anfälle. Jedes gelungene Colleg, jeder plötzliche Temperaturwechsel wirft mich nieder (das Basler Wetter ist sehr ungünstig, mit seinem ewigen feuchten Gedusel) Weihnachten will ich nach Baden-Baden. Die Zürcher wünschen mich, aber es geht nicht, ich muß Gespräche fliehen. — Nur der Magen ist immer in Ordnung gewesen und der Appetit, aber ich weiß jetzt auch, was mir frommt. (Die 3 Trauben der Frau B<aumgartner> waren nicht schuld, ich aß sie, als der Anfall vorbei war) Ich bekomme aus Lörrach ganz treffliche kleine Zwiebäcke und überhaupt wird mir manches besorgt. — Frau Leupold und Frau Overbeck waren, auf Anregung des guten Dr Förster, meinetwegen in Correspondenz über Sestri di Ponente: es ist aber zu aufregend und erst nach längerer Zeit wohlthuend — aber Ostern fehlt es mir an längerer Zeit. Zu Weihnachten möchte ich eine haltbare Cervelatwurst haben, nach Baden zu schicken — wenn einmal Wünsche erlaubt sind. Und was will Mutterchen und Lamchen? Sagt’s mir doch! — Ach, wüßtet Ihr, welche Wohlthat bei alledem meine Vorlesungen für mich sind!!
Euer F.
778. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 7. Dezember 1878>
So trifft es sich schön: heute Morgen kamen Eure guten Worte und Wünsche, und nun mache ich den Bericht der Woche. Dienstag und Mittwoch waren es diesmal: sehr böse! — Dazu hatte ich einen schlimmen Finger seit 2 Wochen, (wie Deiner im Herbst, meine gute Mutter); bei Glatteis bin ich nun noch auf ihn gefallen, und muß deshalb täglich in’s Hospital, wo ein Verband angelegt wird (Es kann immer noch einige Wochen dauern. Viel Schmerz.) — Jetzt ist Kälte. Meine Wohnung ist gut warm. Vorlesungen nach wie vor meine geistige Ressource. Sonntag Nachmittag hat mir Overbeck vorgelesen. Mit Baden ist es noch nicht sicher, es graut mir fortzugehen. Der ganze Train ist nun einmal im Gange und doch besser als den letzten Winter (in Bezug auf Gesundheit, scheint mir.)
Wollt Ihr noch einen Bücherwunsch hören? „Doehler, Geschichte der römischen Kaiser nach Domitian (die vor Domitian habe ich schon) (es geht mit Hadrian los) Halle, Waisenhaus-buchhandl<ung> (aus dem Französischen.)“ ungebunden wegen des Band I
Herzlichsten Gruß und Dank, auch für die Plätzchen
Euer F.
Von Rée seit Geburtstag keine Nachricht.
779. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 10. Dezember 1878>
Liebste Schwester, nach einer Besprechung mit Dettloff scheint mir mein Bücherwunsch unerfüllbar — also laß alle Schritte. Ich weiß eben die Titel nicht genau anzugeben. Ich besitze aber schon alle 4 Hefte der römischen Kaiser von Beulé (übersetzt von Doehler), also von Augustus bis „Titus und seine Dynastie“. Nun hat ein andrer Franzose eine Fortsetzung gemacht „Hadrians Zeit usw.“, aber ich weiß nicht, wer es übersetzt und wo es erschienen ist.
Mein Finger entscheidet über die Ferien, ich muß hier bleiben (der Nagel geht ab — es ist langwierig, aber ungefährlich.
In herzlicher Liebe Dir und unsrer
guten Mutter zugethan
F.
780. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 14. Dezember 1878>Sonnabend
Meine Herzenslieben, es geht mir nicht gut, Dienstag wieder ein sehr schmerzhafter 30stünd. Anfall, und seit gestern werde ich einen leichteren Kopfschmerz nicht los. Der Finger nöthigt mich täglich ins Hospital. Wir haben strengen Winter. Herzl<ichen> Dank für Eure Briefe. Mein Bücherwunsch war eine Dummheit, es giebt dies Buch gar nicht. Also — Verzeihung! — So wenig als möglich! Bitte! Und hierher senden! Nur keine Äpfel! Die vertrage ich nicht recht.
Noch Eine Woche Collegien vor mir. —
Es ist doch jammerschade, daß ich nicht bei Euch sein kann! —
Welch schöne Plätzchen ich vom guten Lama bekommen habe!
Könnt Ihr mir ein paar Handschuhe aus schwarzer gröbster Wolle stricken, bloß Ein Daum und dann ein Sack für die übrigen Finger. Abends zu tragen, recht warm.
In herzlicher Liebe Euer Fr.
781. An Paul Rée in Stibbe (Postkarte)
<Basel, 14. Dezember 1878>
Was macht denn mein armer lieber lieber Freund Rée? Ich fürchte, er quält sich von einem Tag zum andern durch (so geht es nämlich mir wieder einmal) Dazu ihn im rauhsten Norden zu wissen Und woher käme das Erfreuliche! Ach, könnte ich doch Tauben mit Oel-Friedens- und Gesundheitszweigen ihm zu Weihnachten senden! — Zehnmal täglich wünsche ich bei Ihnen, mit Ihnen zu sein. Aber immer heißt es: „Ertrage! Entsage“! Ach, man bekommt die Geduld auch satt. Wir haben die Geduld zur Geduld nöthig. —
Und lieb und gut bleiben wir uns.
F.N.
782. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 17. Dezember 1878>
Hier, meine herzlich Geliebten, ein kleiner Beitrag zu Eurem Weihnachts-Tisch, zum Zeichen, daß ich Eurer gedacht habe und am Bescheerungs-Abende Eurer recht sehr gedenken werde.
Mit den Taschentüchern soll, wie ich mit Vergnügen hörte, meiner guten Mutter doch eine Freude gemacht werden können, ob sie schon behauptet, durchaus nichts nöthig zu haben. Nun, sieh zu, ob dieselben Dir Recht sind. Die Spiritus-Maschine wird Dir, wenn sie sich so gut bewährt, wie bei mir, gewiß einleuchten: sie arbeitet sehr feurig. Es ist das beliebteste System der Construktion. —
In Betreff meiner Gaben für das liebe Lama habe ich kein Glück gehabt. Am sichersten bin ich noch wegen der Handschuhe vom Tyroler, die ihr immer gefallen haben. Aber über die Weltausstellung ein Buch — ja ich wußte gar nicht, worüber sie sich belehren lassen will (ob über die Maschinen, oder die Kunst oder die Eßwaaren oder Seidenindustrie auf der Ausstellung — es giebt so viele Spezialschriften; und ich erfuhr auch von diesem Wunsche zu spät) Vielleicht nimmt sie das „Buch der Erfindungen usw.“ (mit den guten Illustrationen von Architektur) als eine Art erbärmlichen Ersatzes. Und nun gar mit dem Seidentuch! Das Gewünschte existirte nicht mehr bei Von der Mühls, traurig, traurig!
Ich versuche das arme Lama zu entschädigen, indem ich etwas nahm, was „viel eleganter“ sein soll: bin aber nicht überzeugt, daß es ihr so gut gefällt, wie das einfachere.
Könnte ich bei Euch sein! — Frau Schwenk ist bei mir und packt ein (sie ist sehr dankbar gestimmt und wird, so bald ihre viele Arbeit es irgend gestattet, schreiben. Ich gab ihr die vorgeschrieben<en> Gelder.)
Nun wollen wir das alte Jahr noch ablaufen lassen, in größter Stille; und mit einigem Muthe und noch mehr Geduld dem neuen entgegengehen, vor allem aber mit Liebe und Herzlichkeit unter einander.
Euer Fr.
783. An Marie Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Basel, 21. Dezember 1878>Samstag.
Nicht wahr, meine verehrte Frau Baumgartner, Sie sagen es mir durch eine Karte voraus, an welchem Tage ich den Besuch Ihres mir so werthen Sohnes (den ich ja nicht verfehlen möchte!) zu erwarten habe? Hoffentlich richtet sich meine Krankheit vernüftig darnach ein. — Inzwischen haben die Karlsruher Zwiebäcke sich eingestellt, die Quitten sind köstlich befunden worden: kurz, der Himmel behüte mich, daß ich nicht durch Ihre mannichfaltige Güte zum verwöhnten Kinde werde.
Bald mehr von Ihrem ergebensten Nietzsche
784. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 21. Dezember 1878>
Tiefer anhaltender Schnee-Winter um mich: wie ich ihn noch nie in Basel erlebte. Die St. Margarethen-Landschaft herrlich. Die Bäume brechen fast vor Schnee. Scheint mir gesund zu sein: die Woche ohne Anfall, alle Collegien gehalten, heute das letzte vor Weihnachten. — Frau Overbeck hat mir Quitten geschenkt, die Gute! — Mein Finger scheint, nach heutiger ärztlicher Besichtigung und Verbindung im Hospital, doch sich bessern zu wollen (zum ersten Male sah er besser aus) — Dienstag habe ich mit Frau Schwenck mein bescheidnes Kistchen an Euch erledigt. — Morgen gehen Overbecks fort. — Durch den Schnee werden viel Brief- und Paket-Verspätungen eintreten: also wartet nicht zu sehr auf Nachricht von mir. — Der Frau Bessiger gebe ich das Tuch, dem Manne Cigarren, dem Mädchen eine sehr hübsche Capouchon, dem Knaben einen halbseidnen Shawl und dann Zuckerdüten. (Die von N<aumburg> mitgebrachten Sachen verschenkte ich gleich damals) Nun, das Allerherzlichste an Euch meine Lieben!
Es denkt stets Eurer F. N.
785. An Adolf Baumgartner in Lörrach (Postkarte)
<Basel,> 23 Dez. <1878>
Ich finde, Abends heim kommend, etwas auf meinem Tische vor, etwas in Kern und Schale Schönes und Ernstes: es thut mir sehr wohl. — Kommt es von Ihnen? Meinen allerschönsten Dank. — Aber Mittwoch bin ich vergeben und versprochen. Vielleicht kommen Sie Donnerstag oder Freitag? Ich werde an beiden Tagen jedenfalls von 2—4 Uhr Ihrer gewärtig sein: eine vorauslaufende Meldung ist unnöthig, falls Sie, wie gesagt, einen dieser Tage wählen wollen. — Inzwischen Ihnen und der o verehrten Frau Mutter den englischen Gruss: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen aneinander!“
F. N.
786. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 27. Dezember 1878>Freitag. —
Endlich hat die Post auch mich bedacht, und Eure lieben Gaben sind in meinen Händen. (Das Buch, das mich äußerst angenehm überraschte, kam viel früher) Aber es war gut so, denn bis jetzt gieng es mir ganz elend, von Sonntag an bis jetzt Anfall über Anfall.
Ihr seht, ich kann nicht schreiben, kaum mich bedanken. Später über das Einzelne der Gaben. Die Handschuhe für Nacht und Tag sehr erwünscht. Würste scheinen nach der ersten Probe (von der runden) herrlich, wie die hier so theuren Gothaer lange es nicht sind.
Ihr habt doch Montag meine Karte bekommen? Eure Freude über meine Sachen hat mich gerührt. — Baumgartn<ers> schenkten mir „Leopardi übersetzt von Heyse“, schön gebunden.
Ich habe Adolf, ebenso seine Mutter, und dann Frau Overbeck noch beschenkt. Den Kindern hier im Hause außerdem, was ich schrieb, einen magnetischen Blechfisch und ein dreiklingiges Taschenmesser.
Die neuen Strümpfe habe ich an. — Um Johnson, mein liebes Lama, bemühe Dich nicht zu sehr, und gieb vor allem nicht viel dafür aus (2—3 Franken, nicht mehr) Auf eigne Rechnung bitte ich, mir noch den ersten Band von Doehler’s Antoninen zu beschaffen und zu fragen, wann der dritte erscheint: aber es hat gar keine Eile. Sende das Buch, wenn einmal etwas Anderes zu senden ist.
Nehmt mit dem einzigen Wort „ich danke Euch von Herzen“ fürlieb. Es wird mir so schwer heute, zu schreiben.
Nur fort mit dem alten Jahr.
Euer F.
787. An Marie Baumgartner in Lörrach
<Basel, 29. Dezember 1878>Sonntag.
Was für Ferien habe ich, verehrte Frau! Vor Schmerz und Erschöpfung halbtodt; die ganze Woche ein Anfall nach dem andern, eine Art von nachträglicher Abzahlung an die erste Hälfte des akademischen Semesters. —
Nun soll’s aber besser gehen, und morgen (Montag) erwarte ich unter günstigeren Bedingungen Ihren lieben Sohn zu sehen. —
Leopardi steht da in ernster Pracht, aufgespart für gute Sommertage im Gebirge. — Sie wissen doch, daß ich kein „Pessimist“ bin, wie er und das „Düstere“, wo ich es finde, nur constatire, nicht bejammere. Freilich kommen dabei keine so herrlichen Gedichte zum Vorschein.
Mein armseliges „Epigramm“ galt übrigens nicht den Dichtern, sondern dem Dichter (Lipiner) — Dank Ihren Trauben ist es mir möglich, Horaz einmal wörtlich und thätlich zu interpretiren, heute Mittag „pensilis uva secundas et nux ornavit mensas cum duplice ficu“
Ihnen Beiden das Herzlichste.
F N.
788. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Basel, 31. Dezember 1878>
Nun, meine Lieben, voran in’s neue Jahr guten Muths und mit Geduld, so sage ich Euch und mir „schon Schlimme<re>s hat man überstanden“. In summa: ich halte es immer noch aus, so haltet es auch treulich mit mir aus: denn ein Kranker macht wenig Freude und viel Noth. —
Das Ritschl-Buch ist nicht eingetroffen. — Gestern war Ad<olf> Baumgartner bei mir, er pries jenen schönen Naumburger Tag ganz außerordentlich. — Wir haben Thauwetter. Mein Befinden immer noch schwankend. Morgen erwarte ich wieder den Anfall.
Die „Plätzchen“ sind wieder sehr gut. Und die Wurst bewundernswerth.
Freund Rée schrieb, es geht immer schlecht. Die galvanische Kur ohne Erfolg bei seinem Nerven-Unterleibsleiden. Auch Rohde schrieb gut und zufrieden. — Verreisen kann ich nicht.
Freitag geht es wieder los. — Die Geschichte mit Ernst betrübt mich (er soll mit einem ältern vertrauensvollen Arzte sprechen: in seinem Alter sehr nöthig.
Denkt meiner in Liebe, wie ich Eurer gedenke F N.
789. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz (Postkarte)
<Basel> Sylvestertag <31. Dezember> 1878.
Hier kommt, als Neujahrsgruß, das Manuscript. Um des Himmels Willen, geben Sie sofort Nachricht, wenn es in Ihren Händen ist! Ich lebe in Angst und Bangen bis dahin. —
Ende Januar kann der Druck fertig sein, nicht wahr? 8 Bogen und Alles wie beim Hauptbuch, auch unsre Bedingungen. — Packen Sie sorgfältig aus, es ist ein Zettel-Manuscript.
Alles Gute Ihnen von Herzen wünschend
Ihr
F N.
789a. An Louise Ott in Paris (Widmung)
Basel am Ende desJahres 1878
Frau Louise Ott
mit den ergebensten Grüssen und Wünschen ihres Dieners
Friedr. Nietzsche
(Krank, schweigsam, allein, doch muthig, mitunter glücklich, fast immer ruhig — es geht schon! es geht schon! — und trotzdem, liebes Schicksal! ein klein wenig mehr Sonnenschein! bitte! bitte! —)