1888, Briefe 969–1231a
1093. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Sils, Mittwoch, d. 22. August <1888>
Meine liebe Mutter,
wir haben gerade wieder recht verdrießliches Wetter, naß und kalt: um so mehr habe ich mich über die Ankunft Deiner Sendung gefreut, die (gestern) Dienstag Nachmittag in meine Hände kam. Abends habe ich sogleich den Schinken angeschnitten, denn ich war vollständig fertig geworden mit den kleinen. Es schien mir, daß er noch delikater schmeckt, was vielleicht mit der Größe zusammenhängt. Ende gut Alles gut — dachte ich dabei. Wir wollen sehen, wie lange es reicht. Ich rechnete eben, daß mein Aufenthalt hier oben noch 24 Tage beträgt — am 15. Sept. Abreise —. Die Zwiebäcke kamen mir um so mehr zurecht, als die, welche ich beim Bäcker in Silvaplana letzten Samstag geholt hatte, nicht gut gerathen waren. Den Thee habe ich sofort in Blechbüchsen gefüllt: es ist mir eine sehr angenehme Abwechselung. Die Serviette kommt insofern zur rechten Zeit, als ich die andre in die Wäsche geben muß. Allerschönsten Dank, meine gute liebe Mutter! Es ist doch angenehm, von Hause aus solche Kistchen zu bekommen — viel besser als von einem Schweizer Wurst-Fabrikanten…
Frl. v. Salis ist seit einigen Tagen abgereist. Überhaupt leert es sich schnell. Eine sehr angenehme Gesellschaft ist mir der Berliner Professor Kaftan und Frau, die mich noch von Basel her gut kennen und zum ersten Mal hier oben sind. (K<aftan> brachte mir Nachrichten und Grüße von Deussen, auch von Romundt: ich kann den Gedanken nicht völlig ausschließen, er möchte vielleicht selbst einer der „unbekannt bleibenden wollenden“ Freunde sein. Es ist übrigens einer der sympathischsten Theologen, die ich kenne) — Was jenes Geld betrifft, so kam mir immer mehr die Einsicht, daß es sehr zur rechten Zeit eingetroffen ist. Wenn Alles so fort geht, wie es gut begonnen hat, so werde ich in den nächsten Jahren fertig mit einer Hauptsache meines Lebens — und brauche hübsch viel Geld zum Druck. — Die Rücksicht auf diese Hauptsache, und um so wenig wie möglich mir alles Experimentiren unter jetzigen Umständen zu ersparen, wird mich doch wieder nach Nizza führen. Von hier gehe ich direkt wieder nach Turin. Auf diese Weise bleibe ich auf dem Wege. — Vor einigen Tagen machte ich folgendes Verzeichniß meiner Habseligkeiten: 4 Hemden. 4 Nachthemden. 3 wollne Hemden. 8 Paar Strümpfe. Ein guter Rock. Ein stärkerer Überrock. Der Winterüberzieher aus Naumburg (noch recht gut, aber ich trage ihn zu selten!) 2 schwarze Hosen, eine sehr dicke Hose. 2 hohe schwarze Westen, die 2 letzten Naumburger Westen (die ganz gut wären, nur um eine Hand zu kurz) Die dicken Morgenschuh. — Das scheint mir gerade genug. Ich darf, um meinen Koffer nicht zu überfüllen, nur sehr vorsichtig sein und lasse dies Mal den Schlafrock hier oben (— er ist arg zerrissen und es scheint mir für einen Gelehrten, wie ich bin, schicklicher, wenn er keine Schlafröcke trägt. Der Naumburger Winterüberzieher wird wohl an seine Stelle rücken)
Jetzt eben kommt die Sonne wieder zum Vorschein. Den 2. Sept. habe ich nicht vergessen. — Es giebt sehr Viel zu thun; und ich wünschte mehr schlafen zu können.
In Liebe
Dein altes Geschöpf