1888, Briefe 969–1231a
1068. An Paul Deussen in Berlin (Entwurf)
<Sils-Maria, 22. Juli 1888>
Lieber F<reund>
ich habe ein Paar Tage verlaufen lassen, um mich von einer kleinen Erstarrung zu erholen. Das Faktum, das Deine Güte mir meldet, steht so abseits in meinem Leben da; ich verstehe es nicht einmal. Es scheint mir, daß ich zu viel vom Gegentheil erlebt habe — daß ich auch bisher nur Geschenke gemacht habe, wie als ob es die natürlichste Sache in der Welt sei. Dank, Anerkennung, Verständniß — sehr schöne Dinge, aber, wenn man grundsätzlich und nicht ohne Erfolg sich von seiner Zeit entfernt, wie ich es thue, so läßt man diese schönen Dinge aus dem Wege. Ich finde bisher das Verhalten gegen mich nicht unbillig. Zu Menschen habe ich mich noch nicht darüber beklagt. Die andere Frage, die bloße Lebensfrage ist einstweilen, durch eine ganz unverdiente Dankbarkeit der Basler, mir nicht eigentlich drückend geworden: in Wahrheit denke ich nicht an sie und haben meine Basler immer erst an sie gedacht. Die absurde Unmöglichkeit, Schriften herausgeben zu können, wenn ich sie nicht selbst drucke, complicirt in der That etwas meine Lage: — und in diesem Sinne bin ich unbeschreiblich dankbar für das, was Deine alte Freundschaft mir dies Mal zu melden hatte… Hätte ich einen besseren Glauben an meine Gesundheit, so dürfte ich meine Lage auch in genannter Hinsicht nur für ein „Interim“ nehmen… Der Übelstand ist, daß ich in diesem Sommer schlimmer als die letzten Jahre wieder an eine gewisse Incurabi<li>tät erinnert wurde… — Ich habe hundert Vorsichten und Klugheiten nöthig, und außerdem noch ein paar günstige Umstände z. B. helles, trocknes Wetter. Dann erreiche ich einen gewis<sen> Grad der Gleichheit. Fehlt mir diese Gunst der Umstände (wie es leider seit Anfang Juni der Fall), so hilft mir alle Vorsicht und Klugheit nichts. — Recrudeszenz der alten Leiden und Zustände und eine große Schwierigkeit, den Muth aufrecht zu erhalten. — Lieber Freund, ich weiß nicht, wem Alles ich zu danken habe. Aber sicherlich Niemandem mehr als Dir. Behalte mich lieb und glaube an die Liebe eines alten „Unmenschen“ und „Unbehausten“, mit G<oethe> zu reden. Mich Dir und Deiner l<ieben> Fr<au> — — — mich Deiner Freundschaft empfehlend