1888, Briefe 969–1231a
1069. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Sils, den 24. Juli <1888> Montag. <23. Juli>
Meine liebe Mutter,
gleich nach dem Eintreffen der letzten Sendung ist ein Brief an Dich abgegangen: demselben war die andre Hälfte vom Brief des Lama beigelegt. Damals hatte ich den Schinken noch nicht versucht; jetzt kann, aus einer etwas zu reichlichen Erfahrung, darüber geurtheilt werden. Es thut mir sehr leid, aber er ist gar nicht so ausgefallen, wie Du gewünscht hast. Der Lachsschinken ist etwas unvergleichlich Besseres und Gesünderes. Der Mann hat, trotz aller Deiner Aufforderungen, das Salz zu schonen, ihn abscheulich versalzen. Das Fleisch sieht braunroth aus, nicht blaß, wie das Fleisch des Lachsschinkens. Ich muß sechsmal des Nachts Wasser trinken, seit ich Abends diesen Schinken esse; und dabei ist mein Magen entschieden durch das viele Salz überwürzt, so daß mir alles Essen jetzt weniger gut bekommt. Auch hat sich eine gewöhnliche Folge von zu salzigem Fleische eingestellt, eine Zahnfleisch-Entzündung, die mich beim Kauen arg belästigt. Dabei fällt mir das Wort „Milchschinkli“ ein: es ist die reine Ironie auf diese versalzene Sache! Selbst das Fleisch ist lange nicht so gut wie das des Lachsschinkens: letzteren konnte ich schön klein bekommen mit den Zähnen, hier bleibt immer ein Rest von Faser, mit dem man nicht fertig wird. Der Mann hat keinen Begriff davon, was ein Schinken zum Gebrauche von Kranken ist: ich, der ich in der Schule des alten Wiel gewesen bin, habe hierüber ziemliche Erfahrung. —
Dagegen fand ich die Zwiebäcke schmackhafter als irgend welche, die ich bisher gegessen habe. Allerschönsten Dank! Auch der Kürbiss hatte einen sehr angenehmen und interessanten Geschmack: er hat mir gut gethan — man soll Frl. Alwinchen loben.
Bleibt die curiose Geldsache zu besprechen. Gestern Abend kam Dein Brief über dieselbe an; gestern Morgen hatte ich bereits einen Brief an Prof. Deussen abgeschickt. Denn er hatte die Sache auch mir direkt gemeldet: ähnlich wie an Dich, nur mit einer Wendung mehr, die ich zu Deiner Erbauung mittheile: „ich hoffe, Du wirst es mit freundlichem Verständnisse Dir gefallen lassen, wenn Einzelne an ihrem Theile wieder gut zu machen suchen, was die Menschheit an Dir sündigt“. Ich habe mich in meiner Antwort dagegen verwahrt, daß „die Menschheit an mir sündige“, habe die Liberalität und unverdiente Dankbarkeit der Basler zu Ehren gebracht, habe ausdrücklich in Abrede gestellt, daß meine Lage drückend sei und, schließlich, ganz exakt, wie Du es Dir auch ausgedacht hast, nur in Hinsicht auf die Unmöglichkeit, Verleger zu finden und den Zwang, der auf mir liegt, meine Schriften auf eigne Kosten drucken zu lassen, das Geld acceptirt. (In den letzten 4 Jahren sind für Druckkosten mehr als 4000 frs. ausgegeben worden) Das Geld wird zum größten Theil Deussens Geld sein (— er hat mir im vorigen Herbst die allerdringendsten Offerten dieser Art gemacht.) An die „unbekannten“ Berliner Verehrer glaube ich nicht recht: der Einzige, der betheiligt sein könnte und zu dessen Charakter eine solche Handlung stimmen könnte, wäre der Dr. Rée (der mit Deussen in gutem Einvernehmen ist) Dies Alles unter uns. Die Hauptsache ist, daß Niemand Etwas davon erfährt. Es würde mir sehr nachtheilig zum Beispiel in Basel sein, wenn das geringste Wort davon verlautete — sie thun dort wirklich ein Übriges (der Termin meiner Pension ist ja mit 1886 abgelaufen!!) Ich will diesen Winter nicht nach Nizza, weil man das letzte Mal im Hôtel unter den Gästen sich in einer Weise für meine etwas ärmliche Finanzlage interessirt hat, die meinen Stolz verletzte. — Schreibe nichts über diesen Sache nach Paraguay: Lisbeth würde es durchaus nicht als eine „Ehrengabe“, sondern, ganz wie ich selbst, als ein Almosen empfinden. Ich zöge bei weitem vor, meine „Verehrer“ zu beschenken — — Ich werde noch diesen Herbst c. 200 Mark zu Druckkosten nöthig haben. Auch könnte es sein, daß meine Winter-Reise und -Aufenthalt einen kleinen Zuschuß nöthig machten, da ich etwas Neues versuchen will. Ich bedarf, aus vielen Gründen, einer abziehenden und zerstreuenden Reise: ich war bisher außerordentlich bedrückt und melancholisch. Sonst weißt Du, daß ich sparsam bin. Gieb also das Geld an Kürbitz, doch mit der Bemerkung, daß bald ein Theil disponibel sein muß.
Dein altes Geschöpf F.