1888, Briefe 969–1231a
1118. An Constantin Georg Naumann in Leipzig
Sils-Maria d. 15 Sept. 1888
Geehrtester Herr Verleger,
heute morgen habe ich die neue Schrift von Anfang bis Ende durchgesehen — sie ist fehlerfrei. Ein Paar feine Veränderungen, auch hinsichtlich der Zeilen-Anordnung, gehn vermuthlich auf Herrn Köselitz zurück. In der That macht die Ausstattung der Schrift den Eindruck, den ich wünsche — ich drücke Ihnen meine volle Anerkennung dafür aus, so gut mich in dieser Hauptsache berathen zu haben. — Daß ich den Epilog hinzuschrieb, scheint mir jetzt der allerglücklichste Einfall: ich habe damit diesen Einzelheit „den Fall Wagner“ in Zusammenhang mit meiner Gesamt-Tendenz gebracht. Zuletzt werden die fünf letzten Seiten der Schrift über mich mehr Aufklärung geben, als irgend welche Essay’s und Abhandlungen zu geben vermöchten, vorausgesetzt, was vielleicht vorausgesetzt werden darf, daß die Schrift in viele Hände und vor viele Augen kommt.
Inzwischen habe ich auch etwas Anderes begriffen: daß jetzt eine weitere Publikation unzulässig ist. Sie würde den Eindruck dieser Schrift stören, brechen, — sie würde die Nothwendigkeit, sich einmal nach meinen früheren Schriften umzusehn, eine sehr wünschbare Nothwendigkeit, beinahe aufheben. — Nehmen Sie also, werthester Herr Verleger, das übersandte Ms. eine Zeitlang (— sagen wir vorläufig bis Ostern des nächsten Jahrs) in Gewahrsam. Es ist mir lieb, wenn Sie es mir nicht zurückschicken, — man muß, als Denker, sich vor allem Fertigen, Abgemachten zu schützen wissen (— ich habe deshalb fast nie meine eignen Schriften bei mir —)
— Ich schrieb an Dr. Brandes nach Kopenhagen, ob er mir noch ein paar französische und russische Adressen, die in diesem Falle in Betracht kommen könnten, zu geben wisse. Sehen Sie zu, daß er als Einer der Ersten die Schrift erhält. —
Eben höre ich, daß auch Hans von Bülow eine Schrift dies Problem betreffend herausgiebt. Sehr erwünscht: wir sind die beiden Einzigen, die Muth und Kenntniß aller Intimitäten des „Falls Wagner“ besitzen… Auch er soll so schnell wie möglich die Schrift erhalten.
Mit dem besten Wunsche
und angelegentlichsten
Danke Ihr
Dr. F. Nietzsche.
— Es versteht sich von selbst, daß ich Ihrer Termin-setzung 22.Sept. in jedem Betracht Folge leiste.