1856, Briefe 9–13
9. An Edmund Oehler in Angern
<Naumburg, kurz vor dem 15. Januar 1856>
Mein lieber Onkel! Ich gratulire dir auch noch zu deinen Geburtstage, und wünsche dir daß du immer recht gesund bleiben mögest. Ein anderes Mal schreibe ich dir mehr, aber ich muß jetzt in die Schule. Lebe wohl, mein lieber Onkel, und behalte lieb
Deinen
Fritz Nietzsche.
10. An Elisabeth Nietzsche in Pobles
Naumburg a/S 30/3 <1856>
Liebe Elisabeth.
Da die Mama heute schreiben will so will ich auch ein Briefchen mit beilegen. Vor allen will ich unsre Reise beschreiben. Auf den Wege nach Weissenfels war mir nichts mehr zuwider, als der schneidente Wind, und meine 2 Röcke leisteten mir dafür gute Dienste. Wir kammen fast eine Stunde früher an als der Zug an kam. In der Bahnhof Restauration laß ich die vossische Zeitung, worinn vieles über das keiserliche Kind stund. Es soll drei Ammen und 3 Gouvernanten haben, wovon eine Amme es hat fallen lassen. Sie ist gleich in Ohnmacht gefallen, aber das Kind soll einen kräftigen Schrei wie ein Kind von einen Jahr gethan haben. Auch sind ihm schon zwei Orden gegeben: Das Kreuz der Ehrenlegion und den Militärisch. Meine Mamma ließ sich eben ein Glas Zuckerwasser geben, als der Zug ankam. Wir aßen schnell die Stückchen Zucker und wollten fort, aber ein Kellner hielt uns noch auf indem er um Geldwechseln bat, wir konnten uns nicht ausgleichen, bis er uns endlich nocheine Zuckerbrezel gab. Fast fanden wir keinen Platz mehr, aber in einen Wagon wurden wir untergebracht. Viele Bekannte waren darinn, als Mine und Eduart, welche wir zwar nicht sehn konnten, Herr Pastor Wimmer, der Suprindent aus Freiburg. In Naumburg angelangt, fuhren wir mit Bocher herein. Wie wir an die Hausthür kämmen standen schon Rosalchen, Mine, und Ottos da und freuten sich sehr, unsrer Wiederkehr, aber die Großmama meinte es wäre doch ihr sehr lieb wenn Du da wärest. Nun es wird dir aber doch sehr auch in Pobles gefallen denn es ist ja so sehr hübsch dort. Du spielst wohl recht oft Ball und wenn Du wieder komst schlägst du besser als ich. Ich erfuhr gleich, daß Wilhelm sehr krank sei, er hat ein reumatisches Fieber. Ich wollte ihm eine Apfelsine bringen, wurde aber nicht zugelassen. Da ging ich zu Gustav welcher sich sehr über das Mauernpapier freute, er dankt dir noch recht viele Mal und er bewundert sehr die Wohlfeilheit in Magdeburg. Mein Schulplan ist sehr geändert, denn meine Stunden gehn um 7 an. Ich habe mit den Soldaten noch nicht gespielt, werde es aber bald thun. Ich wünsche sehr oft auch in Pobles zu sein, und danke recht viele Mal den Großeltern, für den hübschen Aufenthalt. Grüße sie recht viele Mal so wie die Onkel Edmund, Theobald, Oskar auch die Tanten. Werde recht gesund und schreibe recht oft
an deinen Bruder
Friedrich Wilhelm Nietzsche.
11. An Elisabeth Nietzsche in Pobles
<Naumburg,> den 27 April <1856>
Meine Elisabeth!
Auch ich will noch ein paar Zeilen schreiben und mich erkundigen wie du angekomen bist. Nun du wirst mir gewiß darüber, wie über dein Spielen und Treiben bald recht genaue Auskunft geben. — Mir geht es recht gut, und der Gedanke an unser Logis beschäftigt mich fortwährend. Ich habe es heute mit Mamma und Tante sehr genau angesehen. Das Haus sieht von außen wie von innen sehr hübsch aus. Geht man die Treppe hinauf, so kommt man in das gute Zimmer von welchen ein paar Stufen in das manzard Zimmer führen. Mein Stehpult ist sehr hübsch, und der Bücherschrank soll hinterdasselbe gestellt werden: Das folgende Zimmer ist ein Schlafzimmer, wo vielleicht ich allein schlafen muß. Ich fürchte mich aber gar nicht, da daneben du und die liebe Mamma schlafen und da ich auch 3 Stück Stoßdegen zu Waffen habe. Daß klingt dir gewiß ganz schrecklich, aber die Degen sind ungeschliffen, damit man fechten lernen soll. — Wilhelm kann jetzt 10 Schritte allein gehn, dann muß er sich setzen. Pinders lassen dich vielemals grüssen. Gretchen und Sophie waren krank, lassen dir aber sagen, sie hätten ganz erschrecklich geweint, so, daß die Stadt bereits unter Wasser stünde. Grüße Großpapa Großmama, die Onkel die Tante, deine Gespielinnen, die Tauben und Putschken mit den Hämmelchen. Lebe wohl, bleib gesund, schreibe bald, denke oft, grüße alle, behalte Lieb
Deinen Fr. W. Nietzsche
seiner Hochehrwürden Bruder.
B.N. Grüße ja recht sehr schön den lieben Großpapa und die liebe Großmama, damit sie mich nicht bei der Kirmeß vergessen.
Geschrieben den 27 April, den Sonntag Rogate, Abends um 9 Uhr.
Es ist aber Schlafzeit, besonders wenn...........
12. An Gustav Krug in Naumburg (Briefentwurf)
<Schönefeld, Anfang August 1856>
Lieber Gustav!
Ich hatte dir versprochen einmal zu schreiben aber ich schreibe nicht von Pobles, sondern von Altschönfeld bei Leipzig und bin so mitten in die Leipziger Schlacht hineingekommen. Aber ich muß dir erst noch berichten, wie ich mich in Pobles befand. Sehr viel Kirschen habe ich gegessen, und die Onkels haben mir auch mehrere Sonaten von Beethoven vorgespielt von welchen mir die as dur Sonate sehr gefiel. Auch haben sie die zweite Simfonie vierhändig gespielt. Nun bekommen wir eines Tags einen Brief von Madam Ehrenberg und von meinen Feodor, durch welchen sie meldeten, daß meine Mamma während einer Badreise des Herrn und Madam Nitzsche (nicht Nietzsche) dort in einen Sommerlogis Haus halten sollte. Wir reisten den Mittwoch ab und kammen um Mittag dort an. Es ist wunderhübsch dort ein sehr großer Garten mit Schaukel und einen Thurm so wie einen baumreichen Park, auch ein Pianeforte für 600 Thaler. Ich will dir nun einmal den Tageslauf von mir beschreiben: Frühmorgens essen wir unser Frühstück: Cacao und Franzbrödchen. Dann gehn wir in den Garten und spielen allerhand Spiele. Dann arbeite ich, worauf ich Klavier spiele. Dann Nachmittag bade ich mich und zwar in einen besondern Badehause. Es wird nämlich vermittels ein<er> Röhre Wasser inn ein<e> aus weisen Steinen in die Erde gemauerte Wanne gebracht. Eine Röhre versorgt uns auch mit warmen Wasser. Im Ganzen ist es wunderhübsch. Nach dem Abendessen gehn wir in den Park, worinn wir (nämlich auser uns 3 Mädchen und 1 Knabe von 7 Jahren) Blinderkuh Räuber und andre Spiele spielen. Der Herr Direcktor hat mir noch 2 Woche<n> Ferien gegeben. In Leipzig habe ich mir auch in der Clemmschen Musicalien Handlung die Gdur Sonate op. 79 von Beethoven gekauft. Wie stehst mit den Arrangiren einer Ouvertüre
13. An Franziska Nietzsche in Schönefeld
<Naumburg, Ende August 1856>
Meine liebe
liebe Mama!
<Nun ist eine> Woche vorüber, und die andre angefangne <wird eb>enso, nur mit den Unterschied daß ich dich im<mer> mehr erwarte, verfließen. Ich habe mich sehr über <De>inen Brief gefreut nur hättest du liebe Mama <D>ich nicht so sehr ängstigen sollen. Da es blos von einer <n>icht fertigen sauren Milch herrühre. Aber liebe Mamma schreibe mir ja ganz genau wenn Du komst damit sich Mine mit den Scheuern einrichten kann. Ich habe mit Pinders schon mehere Partien gemacht und auch schon einmal bei ihnen gegessen. Einen neuen Thaler habe ich mir von der Tante geben lassen, denn der Alte geht seinen Ende entgegen. Es stimmt auch alles wie ich es aufgeschrieben bis auf einen Dreier. Mein Brod und Butter sind recht gut und aus diesen Grunde esse ich öfters den Abend nichts anders als Butterbrod. — Krugs sind noch nicht wieder da, aber die Großmama Pinder hat einen Brief erhalten worinn stehet, das Gustav Ernst und Herr Rath eine Partie auf die Schneekoppe gemacht haben, dort oben ein furchtbares Gewitter angetroffen haben und so mitten in der Wolken eine halbe Stunde im fürchterlichsten Regen stehn müßen. Das mach eine angenehme Partie gewesen sein! Ich dachte du würdest mich vorigen Sonntag besuchen aber es ist wohl nicht gegangen. Nun desto mehr erwarte ich dich auf nächsten Montag. Noch hätt<e ich dir mit>zutheilen daß die Tanten nur [ + + + ] mir gerathen wegen der schlechten Augen [ + ] Kornbrantwein oben über den Auge täglich [ + ] Sage deine Meinung dazu? Nun lebe wohl <,grüße Elisa>bethchen, den kleinen Karl, alle Mädchen, <Herrn> Schnap, und behalte lieb Deinen
völlig gesunden
Fritz.
Nota. die Frau Pastorin läßt dich viele mal grüßen. Da sie wohl nicht mitschreiben wird.
Vergiß nicht die es dur Sonat. opus 7. in der clemmschen Musicalienhandlung, aber frage lieber noch einmal Herrn Schnap darüber ob er nicht noch eine passendre wüßte!
Dein Fritz.