1883, Briefe 367–478
426. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Sils-Maria, kurz nach dem 21. Juni 1883>
Meine liebe Mutter
Eine Stunde nach dem Abgange meines Briefes kam Deine Sendung an: schneller konnte meine Bitte nicht erfüllt werden! In der That war Alles darin, was ich haben wollte — und Einiges mehr. Z.B. der herrliche Honig. Doch wollen wir’s ja nicht ein zweites Mal probiren! Gewöhnlich läuft der Honig unterwegs aus — wovon mir greuliche Geschichten erzählt wurden. Aber es ist so kalt! Es ist ein vollständiger rauher Winter hier: und sehr trübe dazu, wenn es nicht schneit oder regnet. Abscheulicher Wind!
Trotzdem — es wird schon gehen und besser werden.
Die Wurst ist ausgezeichnet, insgleichen die Süßigkeiten. Die Federn sind die richtigen, das ist eine wichtige Sache!
Sage doch meiner Lisbeth, daß die Kisten von Rom aus mich 87 frs. gekostet haben: und die Bücher sind dabei so verdorben worden, daß ich sagte: „noch zwei Mal und es ist Maculatur“.
Es ergab sich, daß ich in der weißgetünchten Stube es nicht aushielt — meiner Augen halber. So habe ich angeordnet, daß sie neu und zwar grünlich gestrichen wird.
Alle Kranken fand ich hier gesund geworden: und die Alten eher jünger als vor 2 Jahren. So den alten Pfarrer von 81 Jahren: er hat diesen Winter keine seiner Funktionen ausgesetzt und geht Sonntag in das tiefste Gebirge stundenweit um ein Kind zu taufen.
Euch von Herzen dankbar
F.
(Später doch noch eine Wurst- und Schinkensendung!)
NB. ich vergaß für die Abschrift der Recension zu danken. Das ist nun freilich die schüchternste und befangenste Art, von mir zu reden. In Anbetracht aber, daß es ein Leipziger Professor ist, der so schreibt, so ist vielleicht sogar noch der Muth anzuerkennen! — Im Vergleiche zu diesem armen Volke lebe ich freilich im „siebenten Himmel“ der Erkenntniß!