1883, Briefe 367–478
408. An Elisabeth Nietzsche in Rom
Genova Freitag den 27 April. <1883>
Meine liebe Schwester,
es war der reine Zufall, daß Dein Brief in meine Hände kam, denn ich gehe nicht mehr wie sonst zur Post. Aber es soll ein guter Zufall gewesen sein: und so will ich Dir denn gleich antworten. Es freut mich von Herzen, daß Du nicht mehr Krieg gegen Deinen Bruder führen willst. Zu alledem bin ich jetzt auf einem Punkte angelangt, in dem man nicht mehr Krieg gegen mich führen darf, wenn man „weise“ und meine Schwester ist. —
Es war mein schwerster und kränkster Winter; abgerechnet 10 Tage, welche mir gerade genügten, um Etwas zu machen, um dessentwillen sich mein ganzes schweres und krankes Dasein lohnt. Ich hatte aus meiner kurzen „Rückkehr zu den Menschen“ eine solche Summe von widerlich-schauerlichen Eindrücken mitgenommen, daß ich eine Zeitlang ihre Last zu schwer fand. Nun, ich bin über Vieles in meinem Leben schon Herr geworden; aber es gab darin manche heftige Überwindung, um „dem Leben überhaupt“ gut zu bleiben und meine persönlichen Erfahrungen als unwesentlich bei einer solchen Gesammtabschätzung durchzustreichen.
Dies habe ich denn auch diesen Winter wieder gethan: und auf die Dauer werde ich auch alle meine menschlichen Beziehungen, die einstweilen etwas verwirrt sind, wieder in Ordnung gebracht haben, — mit Dir anzufangen.
Und dies wäre der Anfang, daß ich jetzt nach Rom komme. In der That, der Frühling kommt spät, unsre Küstengebirge hier tragen noch Schneekronen. So habe ich denn noch einen Monat Zeit.
Bitte, verhilf mir zu einem guten Zimmer, worin man sich recht ausruhen kann, ich bin oft so müde. Auch kann man mir in Betreff der Stille nirgends mehr genug thun.
Die „ewige Stadt“! Ich bin ihr nicht gut gesinnt und komme nicht ihretwegen nach Rom. Aber sage das ja nicht der verehrten Meysenbug! —
Aber was ist denn das für eine widernatürliche Vermehrung meiner Reichthümer, von der mir eben Overbeck aus Basel schreibt? — Was die Schreibmaschine betrifft, so hat sie ihren „Knacks“ weg: wie Alles, was charakterschwache Menschen eine Zeitlang in den Händen haben, seien dies nun Maschinen oder Probleme oder Lou’s. Aber mein hiesiger Arzt, ein Basler, der mich hier von einer Malariahaften influenza kurirt hat, macht sich ein Vergnügen daraus, sie bei sich zu haben und zu „kuriren“; und wirklich, er zeigte mir neulich einen Vers, den er mit ihr zuwege gebracht hatte und der anfieng:
„Schreibkugel ist ein Ding gleich mir von Eisen“ —
Was nun das „Eiserne“ anlangt: so willst Du, daß es Thon werde. Welcher Gedanke! Liebe Lisbeth, je mehr man mich vergißt, um so besser geht es meinem Sohne, der da heißt: „Zarathustra“: dies ist ein Haupt-Gesichtspunkt — für mich und Dich.
Meine Gesundheit ist ziemlich hergestellt, doch habe ich, zur Beruhigung meines Nervensystems, nöthig gehabt, 4 Monate, Nacht für Nacht Schlafmittel zu gebrauchen: wovon ich mich nun entwöhnen will. —
Die Correctur ist zu Ende, also kann ich reisen. Somit will ich vorschlagen, daß ich nächsten Donnerstag (den dritten Mai) Nachts hier abfahre: Freitag Mittag bin ich dann in Rom.
Bis dahin gieb mir noch Nachricht.
Mit dem herzlichsten Danke
Dein alter Bruder Fritz.
(NB. Ich schreibe an unsere Mäms.)
Meine Grüße an Malvida!
Adresse: salita delle Battestine
8 (interno 4)