1883, Briefe 367–478
384. An Franz Overbeck in Basel
<Rapallo, 22. Februar 1883>
Lieber Freund, es geht recht übel. Meine Gesundheit ist jetzt auf dem Punkte, wie vor drei Jahren. Alles ist kaput, und der Magen nachgerade so sehr, daß er auch die Schlafmittel nicht mehr verträgt — was schlaflose, äußerst gequälte Nächte zur Folge hat, und in weiterer Folge eine gründliche Nervosität. — Ah, ich bin fürchterlich von der Natur zum „Selbstquäler“ ausge — rüstet. Es versteht sich von selber, daß, von außen her gesehn, ich das vernünftigste Leben führe. Aber meine Phantasie et hoc genus omne von Geist sind stärker als meine Vernunft.
Was Rom betrifft, so habe ich gestern abgeschrieben; ich will Niemanden jetzt sprechen. Auch habe ich auf einem Umwege gehört, daß meine Schwester in Rom erwartet wird, und daß sie über Venedig reisen will.
Sonnabend siedle ich nach Genua über; meine Adresse ist von jetzt ab (und ich bitte darum, sie nicht mitzutheilen!)
Genova (Italia) salita delle Battestine 8 (interno 6)
Ich will auf dem schon gegangenen Wege in größter Zurückgezogenheit meine Gesundheit suchen. Mein Fehler im vorigen Jahre war, daß ich die Einsamkeit aufgab. Ich bin durch das ausschließliche Zusammensein mit idealischen Bildern und Vorgängen so reizbar geworden, daß ich im Verkehr mit den jetzigen Menschen unglaublich leide und entbehre; zuletzt werde ich dabei hart und ungerecht, kurz, es bekommt mir schlecht.
Wagner war bei weitem der vollste Mensch, den ich kennen lernte, und in diesem Sinne habe ich seit sechs Jahren eine große Entbehrung gelitten. Aber es giebt etwas zwischen uns Beiden wie eine tödtliche Beleidigung; und es hätte furchtbar kommen können, wenn er noch länger gelebt haben würde.
Lou ist bei weitem der klügste Mensch, den ich kennen lernte. Aber u.s.w. u.s.w.
Mein „Zarathustra“ wird schon im Druck sein.
Ich habe an Cosima geschrieben, sobald ich konnte. Das heißt: nach einigen der allerschlimmsten Tage, die ich zu Bett zubrachte.
Nein! Dieses Leben! Und ich bin der Fürsprecher des Lebens!!
Sobald die Jahreszeit es erlaubt, will ich in die Berge, zu den Süd-Abhängen des Mont-Blanc.
Es hilft Alles nichts: ich muß mir helfen, oder es ist aus. —
Was macht bei Dir und Deiner lieben Frau die Gesundheit?
Dein Freund F N.