1883, Briefe 367–478
387. An Heinrich Köselitz in Venedig
<Genua, 7. März 1883>
Krank! Lieber Freund, so geht es! Kaum hatte ich Genua betreten, so gieng’s los. Fieber, Frost, Nachts Schweiß, intensiver Kopfschmerz, große beständige Müdigkeit, Mangel an Geschmack und Appetit: das ist das Bild der Krankheit. Ich bin zumeist im Bett und schleiche hier und da einmal in die Stadt. Ein Basler Arzt sorgt für mich und hat mir natürlich Chinin verordnet: aber meine eigne „Weisheit“ hatte schon vorher Chinin „verordnet“. Das ist eine Sache von 4—6 Wochen, sagt man mir; man nennt’s Influenza. — Wie gut, daß ich allein bin!
Für Ihren letzten Brief bin ich Ihnen besonders dankbar. Wirklich, lieber Freund, Sie sind einer der festesten Knoten, mit denen ich mich an’s Leben gebunden fühle; ich kann es gar nicht ausrechnen, wie viele ermuthigende Gefühle ich einem gelegentlichen Hinblick nach Ihnen oder einem gelegentlichen Herblick von Ihnen zu mir verdanke.
So wie Sie’s machen, gefällt mir’s ungemein: Ihre Kraft, Ihre Spannung, Ihre Forderung an sich selber wächst mitten unter der gleichmäßigen ehrlichsten Arbeit und kommt nicht nur wie eine Convulsion einmal „über“ Sie — und deshalb sind Sie in der Praxis stolzer als jene Künstler, bei denen Kraft und Ehrgeiz das Leben zum Krampfe machen.
Habe ich Ihnen gar nichts zu erzählen? — Gestern kam ein deutscher Musiker zu mir, Herr Bungert, im Alter von 35 Jahren, früher Klavierspieler, neuerdings Componist. Er stammt, was Klavierspielen betrifft, aus der Schule Chopin’s (er lebte 4 Jahre in Paris und hatte einen Schüler Chopin’s zum Lehrer); was Contrapunkt betrifft, ist Kiel sein Lehrer. Auch war er schon ein Jahr praktischer Kapellmeister (in Kreuznach). Das Erste, was er mir erzählte, war, daß er mit einer Oper eben fertig sei, deren Text er selber gedichtet habe: sie heiße Nausikaa. Ich erfuhr, daß N<ausikaa> zuletzt sich in’s Meer wirft und sich dem Poseidon zum Opfer bringt. Ein andres Werk von ihm „die Studenten von Salamanca“ sei von 3 deutschen Bühnen angenommen, und er werde deshalb wohl nach Deutschland reisen müssen. Er hatte die Absicht gehabt, der Nausikaa wegen nach Griechenland zu gehen, aber der englische Consul Brown habe ihm klar gemacht, daß man „dies näher haben könne“ und zwar — bei Porto fino. Er hat in einem gut eingerichteten Castell daselbst, das jenem Consul gehört, ganz allein gelebt und die Nausikaa componirt. — Vielerlei gieng mir bei diesen Dingen durch den Kopf. Er scheint den Umgang mit mir zu wünschen, es ist eine Ahnung in ihm, daß es bei mir irgend welche Griechische und auch wohl Goethische Hoffnungen giebt. — Aber er gefällt mir noch gar nicht. Haben Sie je von ihm gehört?
Bungert heißt er.
Endlich, lieber Freund: ich bin ganz zweifelhaft geworden, ob mein Werk, von dem ich Ihnen in einem meiner letzten Briefe schrieb, gedruckt wird. Es giebt Hindernisse. — Und alle Dinge haben Zeit oder sollten sie haben.
Nun wieder in’s Bett.
Mit herzlichem Gruß und Wunsch
F.N.
Salita delle Battestine
8, interno 4.