1886, Briefe 655–784
780. An Malwida von Meysenbug in Rom
Nice (France) 13. Dez. 86 pension de Genève. pet. rue St. Etienne.
Verehrteste Freundin,
Ihre liebenswürdige Absicht, mir schreiben zu wollen, hat mich in Gestalt einer grünen Karte erreicht: sie hatte dazu den Sprung von Genua nach Nizza zu machen. Es ist mein vierter Winter an diesem Orte, mein siebenter an dieser Küste: so will es meine ebenso dumme als anspruchsvolle Gesundheit, auf die böse zu sein gerade jetzt wieder die Anlässe zu häufig sind. Nizza und Engadin: aus diesem Cirkeltanze darf ich altes Pferd immer noch nicht heraus. —
Zum Mindesten darf ich nicht in jene wärmeren Länder, wohin ich jetzt sehr gelockt werde: jeder Brief aus Paraguay enthält Künste der Verführung. Aber umsonst! — ich weiß zu gut, daß mich die Kälte verwöhnt hat (denn mein Kunststück, um die letzten 10 Jahre durchzubringen, bestand in dem Sich-auf-Eis-legen; ein kleiner milder Januar, ungefähr für das ganze Jahr durchgeführt, Nordzimmer, blaue Hände, nichts von Ofen, eiskalte Gedanken — ah, davon brauche ich Ihnen nicht zu schreiben?! —)
— Meine Tischnachbarin sagte neulich, in diesem Betrachte, meine Nähe verursache ihr Schnupfen. —
Hoffentlich finden Sie in Rom genug von Liebe und Freundschaft vor, um die Abreise von Versailles einigermaßen zu verwinden. Von Minghetti’s Tode habe sogar ich gehört. —
Hier ist die Saison sehr im Gange und Glanze, die letzte, wie man überall hört und fühlt, die letzte Saison vor „dem Kriege“. Man ist früher hier eingetroffen als je; ich selbst war unter den Frühesten. Auch die Kälte hat sich beeilt: vielleicht wird der Winter sehr kurz, und schon der Februar bringt den Frühling! Sicherlich kann es keine schönere Jahreszeit für Nizza geben als die jetzige: der Himmel blendend weiß, das Meer tropisch blau, des Nachts ein Mondlicht, daß die Gaslaternen sich schämen und roth werden: und darin laufe ich nun wieder herum, wie schon so viele Male und denke meine schwarze Art Gedanken aus…
Treulich Ihr alter sehr vereinsiedelter Freund
F. N.