1886, Briefe 655–784
767. An Reinhart von Seydlitz (Entwurf)
<Nizza, kurz vor dem 26. Oktober 1886>
Ganz nüchtern erwogen: so werden es nur ganz wenige M<enschen> in Europa sein, deren Bildung umfänglich und tief genug ist, daß sie das Neue, Unerwartete, Grundsätzlich-Radikale an meinen Schriften herausfühlen könnten und gar dafür, daß es Jemanden geben könnte der den Zustand, die Passion erriethe und mitfühlte, aus denen eine solche Denkweise entspringt, dafür fehlt mir bis heute noch jeder Beweis und beinahe auch schon der Glaube. — Dies ist meine Einsamkeit, nochmals gesagt: etwas, das ich nicht los würde, wenn ich meinen Wohnsitz wechselte. Gieb mir doch eine Gegenprobe: wer wäre dankbarer dafür als ich? —
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Von der deutschen „Bildung“ besser zu denken: dazu hat sie mir in den letzten 16 Jahren keinen Anlaß gegeben:
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Meine Bücher, als die bei weitem unabhängigsten und radikalsten Erzeugnisse dieses Zeitraums, sind fast spurlos vorübergegangen. Im Grunde habe ich drei Leser, nämlich Bruno Bauer, J. Burckhardt, Henri Taine, und von denen ist der Erste todt.
<H. Taine> Das ist endlich ein Leser, dessen Cultur umfänglich genug ist, um mich zu verstehn