1886, Briefe 655–784
692. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Nizza, 28. April 1886>
Meine liebe Mutter,
drei Worte, vor allem des Dankes für Deinen guten Brief. Unsre Sorgen sind gemeinsam, im Grunde glaube ich, daß wir allesammt nicht für ein heißes Clima gemacht sind. Abgesehn von allen leiblichen Consequenzen ruinirt es den Muth und die Kraft des Willens: deshalb geht Dein krankes Thier in so kalte Sommerfrischen, die einem milden Nizzaer Januar zum Verwechseln ähnlich sind: — ich meine, weil unsereins viel Muth und Willenskraft nöthig hat.
Die letzte Zeit war sehr hart und schlecht für mich, eigentlich eine Tortur, bei der Alles, was sonst wohl thut, einem schwer fällt. Ärger über meine Verleger voran: es ist nichts mit Credner (obwohl ich heute noch einen letzten indirekten Versuch vermittelst eines Briefes an Heinze gemacht habe); es ist auch mit den andern Verlegern nichts, an die ich mich gewendet habe. Dies ist schlimm, in vielfachem Betracht; eine der Folgen die ich nur Deinethalb berühre, ist, daß mir die bestimmt erwartete Geldzuschuß-Summe für dies Jahr abgeht, — auf diese hin hatte ich ja die Reise zu Dir projektirt! Nun, warten wir ab, was wird.
Übermorgen gehe ich nach Venedig, will sehr still herumgehen und mich von der großen Angegriffenheit so gut es geht erholen. Vielleicht wohne ich im alten Zimmerchen des guten Köselitz (in Bezug auf welchen ich auch aus Deutschland eine neue abschlägige Antwort zu verzeichnen habe, vom Carlsruher Hofkapellmeister: es hat mich stark mitgenommen, weil ich hier gerade gewonnenes Spiel zu haben glaubte.
Meine Adresse ist zunächst:
Venezia (Italia)
poste restante
Andre Jahre, nicht wahr? machen wir ein kleines Rencontre auf halbem Wege; es scheint mir mit meinen Finanzen absolut unverträglich zu sein, eine Reise nach Naumburg hin und zurück auf mein Jahres-Budget zu setzen. Noch abgesehn von der Gesundheit: denn Du kannst nicht glauben, welche Überwindung ich wieder im vorigen Herbst nöthig hatte, um mir nicht die Melancholie eines Leidenden allzusehr anmerken zu lassen.
In herzlicher Liebe Dein Sohn