1886, Briefe 655–784
766. An Franziska Nietzsche in Naumburg (Fragment).
<Nizza, um den 26. Oktober 1886>
[+ + +] hier in Nizza. —
Dein guter Brief war mein Empfang in Nizza. Dem Gedicht, welches Du für mich abgeschrieben hast, möchte ich nicht so viel Ehre geben, wie Du thust: es ist aus Gefälligkeit gegen den alten Niese gemacht. Wir Thüringer mit unsrem nachgiebigen Charakter thun manche Dinge, die wir eigentlich nicht thun sollten. —
Heinze’s sind gut gegen mich: aber, da sie nichts davon halten, auch vielleicht nichts davon verstehen, wer ich eigentlich bin, was ich eigentlich will, so darf man kein Haus auf sie bauen. Dasselbe gilt leider von fast allen meinen noch übrigen menschlichen Beziehungen. Ich habe kein Amt, folglich auch keine „Autorität“: wer mir jetzt noch gewogen ist, macht sich privatim ein wenig über mich lustig, das versteht sich von selbst, und — es thut mir nicht weh.
Einer der bedeutendsten Franzosen, nach Geist, Charakter und Einfluß, Henri Taine, ein Mensch von der hohen Qualität wie Jakob Burckhardt in Basel, hat mir hierher, zum Dank für mein letztes Buch, einen herrlichen Brief geschickt. Solche Ehren, wie Dein Sohn, erfahren Wenige; ich habe immer die Theilnahme der alten unabhängigen und weitblickenden Denker für mich gehabt.
Mit herzlichen Wünschen für Dich und unsre Südamerikaner
Dein Fr.
Nice (France) Pension de Genève — dies ist meine Adresse!