1886, Briefe 655–784
693. An Sophie Vischer-Heusler in Basel
Nizza, den 28. April 1886.
Liebe verehrte Frau Professor,
über Naumburg kommt diese außerordentlich schmerzhafte und überraschende Mittheilung zu mir, welche mich verpflichtet, auch meinerseits Ihnen ein Zeichen meiner Trauer und meines tiefen Mitgefühls zu geben. Es werden selten Männer so betrauert, wie Ihr ausgezeichneter Gemahl betrauert wird: von Menschen der verschiedensten Denkweisen und Bestrebungen, die aber alle einmüthig in dem Wunsche sind, einen Nachruhm, wie er ihn hat, zu hinterlassen, als treue, uneigennützige, wohlwollend-wohlthätige und unermüdliche Freunde alles Guten und Gerechten. Darf ich hinzufügen, daß mir persönlich ein Stück Leben und Vergangenheit mit ihm zu Grabe getragen wird, an welches ich gerne und mit vieler Dankbarkeit zurückzudenken habe: er gehörte zu den trefflichen Basler Collegen, die mir, in einer Lebenszeit, wo man noch wenig Anspruch auf Vertrauen machen darf und sich im Grunde erst zu „beweisen“ hat, mit einem unbedingten Vertrauen und hülfreich in Rath und That entgegengekommen sind, nach dem Vorbilde seines verehrungswürdigen und mir unvergeßlich theuren Vaters. Noch von meinem letzten Besuche, den ich ihm in Basel machte (vor zwei Jahren, Sie selbst waren verreist —) habe ich den Eindruck jenes tiefen Vertrauens zurückbehalten, welches wir, ich darf es wohl sagen, zu einander hatten.
In meinem nächsten Briefe will ich meiner Schwester von Ihrem großen Verluste Mittheilung machen, verehrte Frau Professor (über das Meer, Sie wissen ohne Zweifel von ihrer Übersiedelung nach Paraguay?); und ich weiß, daß sie mit Ihnen und mit mir auf das Schmerzlichste davon getroffen sein wird. Wenn ich selbst in diesem Jahre über Basel kommen sollte, werde ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen mündlich zu wiederholen, was ich hier geschrieben habe,
als Ihr hochachtungsvoll
ergebener und sehr
betrübter Freund
Professor Dr. Nietzsche.