1886, Briefe 655–784
779. An Heinrich Köselitz in München
<Nizza> 9. Dezember 1886
Lieber Freund,
ich habe irgend etwas in Ihrem letzten Briefe zu gut verstanden: so daß ich es nicht mehr über das Herz bringe, Ihnen meinerseits Projekte vorzulegen, die die Aufführung Ihrer herrlichen Musik betreffen. Zuletzt scheint es mir mitunter, daß eine jetzt forcirte Aufführung nicht dasselbe ist, wie eine Aufführung etwa in 10 Jahren: nämlich in Anbetracht, daß der Geschmack sich ändert, daß der Geschmack an Wagner, jetzt in einer Art Hochfluth, in zehn Jahren vielleicht andren Bedürfnissen Platz gemacht haben wird, — und daß Ihre Musik ein wirkliches Verstehen und Genießen nur bei Solchen erwarten darf, die erst gründlich in der Wagnerschen Romantik sich ausgeschwelgt haben. Einstweilen thut wirklich Nichts noth als die Zeit laufen zu lassen, guter Laune zu sein — und Geld zu haben. Mit dem letztern nämlich, mit dem Gelde müßte man sich aus Deutschland wegbegeben, wo das Warten eine wirkliche Tortur abgiebt; ein Wartender kann nicht schaffen, das steht mir, wenigstens aus meinem Stück Erfahrung, fest. Ihr Wort über den eignen anti-tragischen Instinkt hat mich sehr erquickt, es ist viel erreicht, wenn man es in solchen Dingen bei sich zur Aufrichtigkeit bringt und „den Muth zu seinem Geschmacke“ hat. Letzte Wendung ist von Stendhal: er lobt es an dem jungen Sorel, daß er den Muth zu seinem schlechten Geschmacke habe: in Ihrem Falle, in unserm Falle — denn Sie müssen mir dieses „uns“ erlauben — wäre es schwer genug auszumachen, was schlechter und was guter Geschmack ist. Sie erinnern sich: Socrates und Aristophanes stritten sich eine ganze Nacht darüber, so erzählt es Plato am Schlusse des Symposion. — Was nun das Geld anbetrifft, würden Sie damit zufrieden sein, wenn ich meinem Naumburger Banquier eine Anweisung gebe, Ihnen 2000 Mark zu senden? Ausgestellt auf Ihre Zukunft, lieber Freund: Sie sollen nichts weiter darin sehn als ein Darlehn.
Und seien Sie mir zum Mindesten nicht böse, Ihnen von Geldsachen geschrieben zu haben: das griechische Sprüchwort mag zu meinen Gunsten sprechen κοινὰ τῶν φιλῶν.
Treulich Ihr
N.