1872, Briefe 183–286
263. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, vermutlich 18. Oktober 1872>
Meine liebe Lisbeth,
nun Du weißt, was Bergluft ist — man ist darin heiter und voller Menschenliebe, öfters aber sogar großartig und verwegen gestimmt.
Was ich eigentlich Dir damit sagen will, habe ich bereits wieder vergessen — vielleicht nur, daß ich nicht in Bergluft schreibe, aber daß Du das Ebenen-erzeugniß mit Bergluft-Empfindung empfangen und verklären magst. Sela.
Dein Geburtstagsgeschenk empfieng mich am 11ten Oktober Abends bei meiner Rückkehr aus den Bergen und hat sich seitdem schon hinreichend legitimiert — als ein ehrsames Gefäß ohne Neigung umzufallen und mich zu verbrühen! Dem Himmel und Dir sei Dank dafür! Insgleichen für Deinen Geburtstagsbrief — es kam diesmal alles wie getröpfelt, langsam — aber schwere Tropfen, eine Art Honigregen. Auch Dein Brief gehörte zu den dicken Tropfen. Einer wird immer noch erwartet, meine Zunge ist bereit (wie die des Lällenkönigs) ihn zu empfangen — Rohde’s Schrift, die fertig, aber noch nicht in meinen Händen ist. Dagegen habe ich die Correkturbogen des Rheinischen Museums. — Wie schön hattest Du sämmtliche 25 Bände desselben geordnet und überhaupt — es stand ziemlich viel beieinander, was zusammen gehörte, kurz, es war ziemlich schön! Lob und Preis!
Meine Reise war, im allerweltsmännlichen Sinne, sehr verunglückt, in meinem männlichen Sinne unvergleichlich geglückt. Zu erzählen ist nichts — Höhenluft! Hochalpenluft! Centralhochalpenluft! — Ein Versuch nach Italien zu reisen mißlang — ekelhafte weichliche Luft, keine Beleuchtungen! Ich kam bis Bergamo (Mitte bis Venedig), und reiste von dort spornstreichs, Hals über Kopf, zurück nach dem Splügen. Denke Dir, von drei Tagen zwei, sammt ihren Nächten, verreist, den einen hin, den dritten zurück nach dem Splügen, das ist doch energisch, kurzgefaßt — und theuer! Am letzten Tage der Gesammtreise habe ich einen himmlischen Herbsttag (den einzig guten der ganzen Zeit) in Ragaz zugebracht.
Vorgestern hatte ich den Besuch — Deussens. Es gieng vorüber, doch gab es gestern und heute Kopfweh. Ich war übrigens sehr vergnügt, er auch, sein „Glück“ ist gemacht, er hat jetzt die Stelle bei der Russin — freie üppige Station und jährlich außerdem 5000 frcs. — Willst Du nicht einmal Oberdreis ansehn?
Nun grüße Deine glücklichen Mitmenschen, und seid alle zusammen, ihr dreifältigen Dreifeldner, guter Dinge wie
Euer
Fritz.