1872, Briefe 183–286
262. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Basel 16 Oct 72.
Meine liebe gute Mutter,
nun ist der Geburtstag vorbei, das neue Jahr begonnen — sehen wir zu, daß wir es rechtschaffen beschließen. Ich danke Dir von Herzen für alles Gute, das Du mir gewünscht und das Du mir geschenkt hast. Die Wohlthat der warmbequemen Strümpfe genieße ich in diesem Augenblick, eine Wohlthat für „das schlotternde Gebein“. Der Naumburger Wein und der Baseler vereinige<n> sich gut in demselben Magen: dasselbe hoffe ich von dem Thee. Mein Theeservice nimmt sich jetzt bereits ganz stattlich aus; Lisbeth hat mich mit einer tüchtig-brauchbaren und bereits gebrauchten Theemaschine beschenkt — nun, man rüstet sich auf den Winter, der diesmal schneller kommt. Mit Mühe dh. um einige Stunden bin ich auf meiner Reise dem Eingeschneitwerden entgangen. Dein erster Brief, rührend durch die Schilderung der Erwartung, und tragisch durch das katastrophenartige Erscheinen des Briefträgers, traf mich bereits in Basel — oder vielmehr — er wanderte auf den eingeschneiten Splügen und von da wieder zurück nach Basel, wo ich bereits am Freitag voriger Woche eintraf. Mein Geburtstag hat mir Briefe aus Bayreuth gebracht; dann von Romundt, dann von Gustav Krug, dann von Gersdorff, der um Januar nach Italien geht und nächsten Sommer in Basel zubringen wird (um Chemie und „Cultur“ wie er schreibt, zu studiren) Endlich von unserer Lisbeth, die von Dreifelden aus, sehr zufrieden und ausführlich, noch Ausführlicheres versprechend, sich vernehmen läßt. Von Rohde wird heute noch die Schrift gegen Wilamowitz eintreffen; ich bin recht gespannt darauf — Rohde’s wegen, denn mich persönlich interessirt diese Polemik wenig. Aber die Aufgabe war für Rohde schwierig und reizvoll: nämlich in einem Sendschreiben an Wagner, das jedenfalls einen hohen und großen Ton verlangt, ein so nichtsnutziges Bürschchen mit abzuthun. Er wird es schon recht gemacht haben: und jedenfalls besser als wenn ich’s selbst gemacht hätte.
Überallher gute Nachricht — damit fieng das Jahr an.
Hier bin ich noch ganz allein. Denn Overbeck ist in Dresden. Romundt bei Bremen. Von dem Geschenk, das mir ein Verehrer meines Buches in Genf gemacht hat, habe ich Dir wohl erzählt. Auch daß meine französische Übersetzerin Gräfin Diodati über die Hälfte fertig ist. Nun wünsche ich mir nur für diesen Winter gute und zufriedenstellende Arbeit. — Mit unseren Studenten hapert’s diesmal.
Mit herzlichem Gruß und Dank
Dein alter Sohn
der vielleicht doch Weihnachten kommt.