1885, Briefe 568–654
626. An Heinrich von Stein in Halle
Sils-Maria, 30. August 1885.
Werther Herr und Freund,
gar zu gern käme ich Ihrem Wunsche — der mich eben so sehr erfreut als ehrt — auch räumlich entgegen, und nicht nur mit dem Herzen und „dem guten Willen“. Aber — ich habe noch kein Recht, „Ferien mir zu machen“, das heißt in diesem Falle: mein Engadin zu verlassen. Die üble Beschaffenheit meiner Gesundheit hat mich um die ersten Sommer-Monate gebracht: jetzt, bei etwas besserer Laune und Verfassung, muß ich noch drei, vier Wochen bei der Arbeit bleiben.
Damit ist die Aussicht, Sie wieder zu sehn, keineswegs für dieses Jahr „über alle Berge“. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß ich im Herbste nach Naumburg komme: obwohl ich nichts versprechen kann. Es hängt Alles davon ab, wie weit ich Dies und Jenes, das mich beschäftigt, vorwärts bringe: — und ob ich Deutschland (deutsches „Clima“ in jedem Sinne, leiblich und seelisch —) mir zumuthen darf.
Von Herzen Ihnen zugethan
Ihr Freund Nietzsche.