1885, Briefe 568–654
570. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Nizza,> Mittwoch. <14. Januar 1885>
Meine liebe Mutter und Schwester,
eben kam Eure besorgte Karte an; ich hoffe, daß inzwischen mein vor einigen Tagen abgesandter Brief einige Beruhigung gegeben hat. Die Verzögerung entstand dadurch, daß ich von einem Tag zum andern auf die Bücher wartete — bis sie kamen; da habe ich gleich geschrieben.
Ich bin beständig krank. Diese Nacht noch war ich ganz desperat und wußte wieder einmal nicht wo aus noch ein. Winter-Wetter auch hier. Es schneit heute, wie schon gestern. Wir sind zwei Grad unter Null. Unbeschreiblich, wie ein bewölkter Himmel auf mich wirkt! Der Barometer steht 20 Grad tiefer als mir zuträglich ist! Die Ärzte Nizza’s sagen, daß diesen Winter es allen chronisch Kranken schlechter geht als andre Winter.
Seit Sonntag ist Hr. Lanzky fort, nach St. Raphael. Gestern telegraphirte er, daß er diesen Ort für mich unmöglich finde. Er ist in solchen Dingen höchst zuverlässig und mir sehr werthvoll.
Mich graut vor allem Reisen und Orts-Wechseln. Voriges Jahr habe ich, seit ich Nizza verlassen habe, es nur zu ganz wenig erträglichen Tagen gebracht — ausgenommen die erste Zeit in Zürich.
Schreibt mir doch immer, wie viele Grade der kleine Haar-Hygrometer in Eurer Stube zeigt.
Ich möchte es gerne einmal mit einem Sommer in einer benachbarten Sommerfrische (c. 1000 bis 2000 Meter hoch) versuchen, in Anbetracht daß mit diesem heitren Provence-Himmel kein Stück Europa’s auch für die Sommerzeit concurriren kann. Aber es giebt andre Gründe, die schließlich doch nordwärts treiben.
Ach die Augen! Alles steht still.
Von Herzen Euer
sehr leidender
F.