1885, Briefe 568–654
576. An Franz Overbeck in Basel
Nizza Freitag 20 Febr. 1885.
Lieber Freund,
ich freute mich herzlich, wieder von Dir zu hören. Mein Leben ist darin jetzt sehr insel-haft geartet, als nur ganz selten noch Nachrichten und Briefe zu mir kommen. Es scheint, daß die größte Zahl meiner früheren Freunde und Bekannten entweder nicht mehr zu mir gehören wollen oder es nicht können — genug, sie schweigen. Ich selber stehe unter der Tyrannei meines Augenleidens und darf nicht schreiben (meine Besorgniß ist nicht gering, ich fürchte, daß ich eines Tages ganz plötzlich blind werde — unter uns gesagt!)
Der Winter ist dies Mal für Nizza mißrathen, und äußerst seltsam. Eine Sturmfluth, wie seit 50 Jahren nicht; zwei Erdbeben; schon vier Mal große Landregen von 2 bis 3 Tagen Dauer — etwas sonst hier Unerhörtes. Alle Kranken sind kränker. Viel bewölkter Himmel. Ich selber habe Viel ausgestanden, die Anwesenheit des braven Lanzky (der nächsten Montag abreist) hat über Manches hinweggeholfen. Doch hätte ich, in letzterer Hinsicht, eine Gegen-Rechnung zu machen — in summa habe ich gelernt, wie nöthig für mich noch eine gute Zeit lang (sagen wir 5 Jahre!) eine vollständige Einsamkeit ist. Es will zu Vieles in mir noch reif werden und zusammenwachsen; die Zeit für „Schüler und Schule“ et hoc genus omne ist noch nicht da.
Die Angelegenheit „Schmeitzner“ steht schlecht, mein Onkel schrieb „kaum möglich“ und „größte Schwierigkeiten“. Ich gestehe, daß Deine mir ganz unerwartet kommenden Geld-Nachrichten zu einem sehr geschickten Momente kamen, und mir zur Beruhigung wurden.
Das Schlimme ist überdieß, daß ich nun keinen Verleger habe, und wenn ich gut genug über meinen litterarischen Ruf in Deutschland unterrichtet bin, auch schwerlich jetzt einen finden werde. Es hat keiner — den Muth dazu. Einige Tage später werde ich mehr in hoc puncto wissen, denn ich habe Unterhandlungen eingeleitet. Weißt du, mein lieber Freund, es ist seit längerer Zeit Etwas da zum Drucken: der Titel wird Dich genügend aufklären.
Mittag und Ewigkeit,
Erster Theil
die Versuchung Zarathustra’s.
Im Monat April denke ich für eine kurze Zeit in Zürich zu erscheinen, wo es Mancherlei abzuwickeln giebt. Das ganze Jahr stellt mir eine Reihe praktischer Aufgaben, zum Theil durch die Dir bekannte Familien-Angelegenheit herbeigezogen. Ich werde nach Deutschland gehn, muthmaaßlich für lange zum letzten Male. Von dem Quartal-Gelde nimm, bitte, so viel weg als zur Anschaffung einer Obligation nöthig ist. Das Übrige sende an mich hierher, womöglich in französischem Papier.
Von Peter Gast hatte ich dieser Tage einen Brief. Drei Akte der Oper sind im Klavierauszuge fertig, die beiden letzten in Arbeit. Ich will, mit ihnen bewaffnet, mein Heil bei deutschen Kapellmeistern versuchen; diese Oper „unter die Haube“ zu bringen gehört zu meinen Sommer-Projekten. Deiner lieben Frau das Herzlichste wünschend Dir immer herzlich-dankbar zugethan
N.
Weißt Du Jemanden, der für diesen Sommer in Sils-Maria mein Zimmer bewohnen könnte? (30 frs. per Monat.)