1885, Briefe 568–654
599. An Franz Overbeck in Basel
Venezia 7. Mai 1885.
Sehr erbaut durch Deinen Brief und sehr beruhigt: denn mitunter kam mir der Verdacht, Du möchtest gar den Verfasser des Z<arathustra> für übergeschnappt halten. Meine Gefahr ist in der That sehr groß, aber nicht diese Art Gefahr: wohl aber weiß ich mitunter nicht mehr, ob ich die Sphinx bin, die fragt, oder jener berühmte Oedipus, der gefragt wird — so daß ich für den Abgrund zwei Chancen habe. Das geht nun seinen Gang. —
Der übersandte Brief aus Holland, von einem alten Herrn van Eeden, Direktor des Colonialmuseums in Haarlem, war einer jener „Huldigungsbriefe“, bei denen ich immer mich frage: ob diese selbe Gattung von Menschen, wenn sie mit Einem Male erführen, was ich langsam, langsam vorbereite, mich nicht wie den Tod hassen würden. — Mir ist auch diese Art von Freuden seit langem vergällt. — Mit den Augen steht es hier noch schlimmer als in Nizza; ich habe nach einer erträglichen Wohnung gesucht und gesucht und nichts gefunden, — in solchen Dingen kann mir auch unser K<öselitz> nicht recht rathen und zu Hülfe kommen. Er ist ein ungeschickter Mensch, mit dem man seine Noth hat; und zum Verkehre nicht gemacht, — aber deshalb mir nicht weniger lieb. In seinen eignen Sachen zeigt er sich ebenso gedankenlos und ungeschickt wie in fremden. Er war so ziemlich entschlossen, sein Werk nach Berlin an Hrn. v. Hülsen zu schicken: es kam mir vor wie ein Mittel, wieder lange Zeit nichts davon hören zu müssen. Ich rede ihm zu, den ganz fertigen (prachtvoll gerathenen) Klavierauszug an jenen Musikverleger und ehemaligen Virtuosen Ries (bei Dresden) zu schicken; der will ihm wohl und ist, namentlich wenn er den Klavierauszug druckt, am besten geeignet, zwischen Bühnen und dem Componisten zu vermitteln, — es ist ein sehr erfahrener und bekannter Mann. — An der Musik selber und ihrer Mozartischen Idealität kann ich mich nicht satt hören; es mag aber sein, daß ich dergleichen Musik nöthiger habe als Andre, und insofern auch weniger befähigt bin, ihren Werth festzusetzen. — Einen ganz überraschenden Erfolg hatte ich jüngst, durch einen Brief des Herrn Lanzky: ich hatte gemeint, die Bemühung um ihn, und im Grunde damit dieser Winter in Nizza, sei umsonst gewesen, wie andre Bemühungen meinerseits — aber siehe, es kam anders. Er schrieb wie ein umgedrehter Mensch, von seinem „Pessimismus“ befreit und zu einem ganz ernsthaften wissenschaftlichen Leben entschlossen (ob er schon nicht mehr jung ist). Alles hatte sich verbessert, selbst die Handschrift; er schrieb sehr dankbar. — Den „Kampf um Gott“ habe ich nicht gesehn und mag ihn einstweilen nicht sehn; man bezeugt der Verfasserin, von sehr verschiedenen Seiten her, Respekt. Und wenn Deine liebe Frau auf Grund dieser Art Mémoires und Halb-Roman dem Frl. S<alomé> wieder eine etwas günstigere Beurtheilung gönnt, so soll es mir von Herzen lieb sein; zuletzt hat sie genau das ausgeführt, was ich von ihr in Tautenburg gewünscht habe. Im Übrigen hole sie der Teufel! — Den 22. Mai ist die Hochzeit meiner Schwester, Du verstehst das Datum. Es ist mir der Wunsch ausgedrückt worden (bei meiner Anfrage, womit ich im Stande sei, eine Art „Hochzeitsgeschenk“ zu machen), daß jenes Dürer’sche Blatt „Ritter Tod und Teufel“, welches in Deinen Händen ist, mit diesen beiden Auswanderern als ein werthvolles und tapferes Wahrzeichen, in ihre neue ferne Heimat wandern solle. Es thut mir eigentlich gründlich wehe, es aus Deinen Händen zu nehmen, denn zuletzt hast Du solcher Trostmittel ebenso nöthig als irgend welche Auswanderer, als ein Seefahrer und Vereinsamter auf Deine Art. Vielleicht aber ist es für Deinen Geschmack zu düster: und so sende es, wenn es Dir gefällt, an meine Schwester ab. —
Mein Prozeß gegen Schmeitzner hat, wie ich eben höre, eine überraschende Wendung gemacht: Vater Schmeitzner ist als Bürge eingetreten, und im Juni sollen die 5600 Mark ausgezahlt werden. Da will ich denn zunächst den Druck meines 4ten Z<arathustra> bezahlen. Er ist als Finale gemeint: lies nur einmal die „Vorrede“ des ersten Theils. Der Titel den ich Dir zuerst schrieb, war eine „Condescendenz“ an die Herrn Verleger, welche absolut keine „vierten Theile“ verlegen wollen, wenn sie nicht die drei vorher haben.
Meine herzlichsten Grüße an Deine liebe Frau, und wer sonst in Basel mir wohl will. (Ausdrücklich bemerkt: ich habe weder Burckhardt, noch irgendwem in Basel ein Exemplar geschickt — verschweigen wir, bitte, das Factum, daß ein 4ter Theil existirt.
Dankbar ergeben
Dein Freund N.
Adresse dieselbe wie Köselitzens:
Venezia, San Canciano calle nuova 5256.