1885, Briefe 568–654
572. An Carl von Gersdorff in Ostrichen
12 Febr. 1885 Nizza (France) pension de Genève petite rue St. Etienne
Mein lieber alter Freund,
ich lebe so abseits und sehe und höre nichts mehr von Dir. Aber dieses Jahr muß ich, aus Familien-Gründen, wieder einmal nach Deutschland kommen: ich denke, in dieser Erwartung denken wir Beide uns zusammen ein kleines Rendez-vous aus, etwa für Leipzig.
Heute theile ich Dir, nicht ohne einige Bedenken, Etwas mit, das eine Frage an Dich in sich schließt. Es giebt einen vierten (letzten) Theil Zarathustra, eine Art sublimen Finale’s, welches gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist (das Wort „Öffentlichkeit“ und „Publikum“ klingt mir, in Bezug auf meinen ganzen Zarathustra, ungefähr so wie „Hurenhaus“ und „öffentliches Mädchen“ — Pardon!). Aber dieser Theil soll und muß jetzt gedruckt werden: in 20 Exemplaren, zur Vertheilung an mich und meine Freunde, und mit jedwedem Grade von Discretion. Die Kosten für einen solchen Druck (bei C. G. Naumann in Leipzig, der die letzten Theile gedruckt hat) können nicht erheblich sein; ich selber aber bin, durch die große Unredlichkeit meines Verlegers, jetzt weniger bei Gelde als je (das will sagen: er ist mir 6000 Francs schuldig, und mein Rechtsanwalt sagt mir, es sei kaum möglich, den Prozeß gegen ihn mit Erfolg durchzuführen). Anders ausgedrückt: ich habe, bis zu meinem vierzigsten Jahre, thatsächlich mit meinen vielen Schriften noch keinen Groschen „verdient“ — —: was der Humor (und wenn Du willst, der Stolz) der ganzen Sache ist.
Mehr aber sage ich nicht. Gieb mir, mein lieber alter Freund, so bald wie möglich, hierher Deine Antwort, eine unbefangene Antwort (man kann gegen mich so unbefangen sein, wie gegen „den lieben Gott“, — vorausgesetzt, daß es einen solchen giebt).
Und vor Allem, seien und bleiben wir guter Dinge: es giebt hundert Gründe, in diesem Leben tapfer zu sein.
Dein Freund Nietzsche.