1881, Briefe 74–184
94. An Heinrich Köselitz in Venedig
Genova 20 März. 81.
Aber, lieber Freund, Ihre gestrenge Freundschaft wird mir wenigstens nicht verwehren können, eine Schuld abzutragen: ich denke an die zahllosen Brief- Correktur- Paket-Porti und Papier-Unkosten et hoc genus omne und versuche heute, etwas davon Ihnen zu ersetzen. Der Augenblick scheint mir gut gewählt, denn diese Sendung giebt mir die Befriedigung einer kleinen Bosheit, in Anbetracht, daß ich gerade so auf Ihren letzten Brief antworte. Sodann macht es mir Vergnügen zu denken, daß Sie nun ein paar Wochen länger in Venedig bleiben werden.
Ich bin heute guter Dinge, denn der Kopfschmerz, der von Sonntag Nachmittag bis zur letzten Nacht dauerte, ist wieder fort.
Danken Sie Gersdorff für die Aussicht, die er mir giebt. Ich liebe feste Termine: ist es möglich, den 15 September als solchen in’s Auge zu fassen? —
Die Titelblatt-Affaire wollen wir aufgeben! Es ist auch daran etwas zum Lachen! Nämlich: ich wünschte dabei nur Sie zufriedenzustellen, da Sie das letzte Mal sich so ärgerlich über Herrn Schmeitzners und Oschatzens Ungeschmack äußerten — ich selber aber war gar nicht so unzufrieden und dachte im Stillen: „dies versteht eben Freund Köselitz besser“ Nun, denke ich, beschränken wir uns darauf, Hrn. Oschatz einige Versuchstitel mehr fabriziren zu lassen — und Sie wählen den relativ erträglichsten aus! — Überdieß: wir wollen Hrn. Schmeitzner ja keine Kosten mehr aufbürden — zuletzt ruinirt er sich noch mit meinen unverkäuflichen Büchern. Wie eigentlich so ein Buch empfunden wird, möchte ich gern wissen; ich habe den schlimmsten Argwohn, wenn ich z. B. nach dem Briefe Rohde’s weiter rathe und mir den ungeneigten Leser denke — was im Grunde, für den Fall des neuen Buches, Jedermann sein wird!
Dagegen freilich hat der Verfasser der Aera Bismarcks mich „den deutschen Montaigne Pascal und Diderot“ genannt. Alles auf Ein Mal! Wie wenig Feinheit ist in solchem Lobe, also: wie wenig Lob! —
Schädlich wenigstens wird das Buch nicht wirken — nur daß ich selber es zu büßen haben werde! Ich gebe ja nicht nur den hochmoralischen, sondern allen anständigen und braven Menschen einen Anlaß, sich ihrer Moralität und Bravheit auf meine Unkosten zu freuen. Ich will zusehen, wie ich davon komme; weiß ich doch besser als Alle es wissen können, daß Alles noch zu thun ist, und daß ich selber nur auf Tage und Stunden den Charakter habe, der nöthig ist, um hier überhaupt noch an ein „Thun“ zu denken.
Ach, Freund, ich werde unklar, weil ich in diesen Nothdingen meines Selbst zu sehr umgetrieben bin und zuviel mit Einem Worte empfinde.
Sagen Sie mir, daß Sie mir gut sind, auch trotz der heutigen Boshaftigkeit — aber schreiben Sie es nicht auf Briefpapier, sondern auf ein Kärtchen, damit es Ihnen so wenig als möglich Zeit nimmt.
Von Herzen der Ihre:
treugesinnt F. N.
Jeder Titel muß vor Allem citirbar sein: also müssen wir ändern! Nicht „Eine Morgenröthe“, sondern nur: Morgenröthe. So klingt es auch nicht so prätentiös.