1881, Briefe 74–184
138. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg (Postkarte)
<Sils-Maria, 18. August 1881>
Meine gute Lisbeth, ich bringe es nicht über’s Herz, Herrn Dr Ree abzutelegraphiren: obwohl ich Jedermann, der meinen Engadiner Arbeits-Sommer d. h. die Förderung meiner Aufgabe, meines „Eins ist noth“, unterbricht, als meinen Feind betrachte. Ein Mensch mitten hinein in das von allen Seiten aufschießende Gewebe meiner Gedanken — das ist eine furchtbare Sache; und kann ich meine Einsamkeit nicht fürderhin sicher stellen, so verlasse ich Europa auf viele Jahre, ich schwöre es! Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren und habe schon viel zu viel verloren; wenn ich nicht mit meinen guten Viertelstunden geize, so habe ich ein schlechtes Gewissen. Du kannst nicht wissen, was ich noch von mir verlange. Genug, es soll der letzte Fall der Art sein, ich habe eine Verpflichtung gegen Dr R<ée>, die mir verbietet, Nein zu sagen: wie ich eine gegen Herrn Köselitz hatte; ich mußte nach Recoaro, als er mich bat, dorthin zu kommen (es handelte sich nicht um mich, sondern um ihn und seine ganze Lebens-Entscheidung). Von meiner Gesundheit und wie es der zu bekommen pflegt, rede ich nicht einmal. — Ich habe dafür gesorgt, daß in meinem Nachbarhaus, Hôtel Edelweiß, ein Zimmer für meinen Freund bereit ist.
In herzlicher Liebe und Aufrichtigkeit
Dein Bruder.