1881, Briefe 74–184
153. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Sils-Maria, 22. September 1881>
Hier die letzte Karte aus dem Engadin, von jetzt ab heißt es wieder: Genova poste restante. Gefährliche Zeiten waren es, der Tod schaute mir über die Achsel, ich habe den ganzen Sommer über fürchterlich gelitten: wohin soll ich mich wenden! Daß ein Himmel mit monatelanger Reinheit eine Lebensbedingung für mich geworden ist, sehe ich nun ein: lange vermag ich diesem ewigen Wechseln, diesem Wolken-aufziehen nicht mehr Stand zu halten! Und welche Energie der Geduld verbrauche ich nutzlos im Kampfe mit dem unvernünftigen Element! Denken Sie, ich habe in summa hier oben 10 erträgliche Tage gehabt, und die schlimmen Tage brachten Zustände so gräßlich als ich sie in Basel erlebt habe. — Der größere Theil derer, welchen ich mein Buch geschickt habe, hat, in 3 Monaten, nicht einmal ein Wort des Dankes für mich gehabt. Nun, das kann mich stolz machen: ach, Freund, ich brauche noch etwas Leben, denn ich habe noch etwas damit anzufangen! Mögen die Menschen mir keine Freude machen: so will ich mir selber Freude machen! Aber Ihre Musik muß mich umtönen, das wird mir nöthig, merke ich jetzt.
Treulich F.N.