1881, Briefe 74–184
179. An Carl von Gersdorff in Leipzig
<Genua,> 18 Dezember 1881.
Mein lieber alter Freund,
das nenne ich eine grandiose Art, der Verfinsterung unsrer Freundschaft ein Ziel zu setzen und Licht zu schaffen! Ich war vor Vergnügen ganz außer mir, als ich Deine Karte gelesen hatte — ich lief mit einem so glücklichen Gesichte durch die Straßen Genua’s, daß die Leute mich verwundert ansahen; zuletzt hielt ich ein Tuch vor das Gesicht. Nun! Glaube es mir nur, ich bin wirklich noch Dein alter Freund, ja ich meine, ich werde Dir fürderhin ein besserer Freund sein können als ich es früher war — das ist eine Frucht der letzten schweren seltsamen entscheidenden Jahre! Viel Wetter und Unwetter sind uns Beiden über den Kopf (und über das Herz) gegangen, manche Rinde mußte brechen — aber, wir Beide sind inzwischen trotzalledem, gleich guten alten Bäumen, in die Höhe gewachsen — wer weiß wie hoch! Heute weiß ich nichts Besseres zu thun als einem liebenswürdigeren Wesen als ich bin nachzufolgen und Dir auch ein Gelöbniß zu machen. Ja, mein alter Freund, ich will bis an mein Lebensende beflissen sein, Dir Freude und Muth zu machen; Dein Vertrauen zum Leben und zu Dir selber soll immer im Wachsen sein, und große edle und freie Gedanken sollen vor Dir herziehn —: in dem Allen will ich die Genossin Deines Lebens zu unterstützen suchen, welche, wie ich mit der tiefsten Dankbarkeit empfinde, Deine tapfere und großmüthige Grundart errathen hat und vertrauensvoll ihre Hand in die Deine gelegt hat.
Und nun kein Wort mehr — es giebt Vieles, was nicht ausgesprochen werden soll, zwischen uns, und Eines giebt es, was ich wieder gut machen will (ich habe Dir Einmal wehe gethan — das vergesse ich nie, und Du sollst den Vortheil davon haben!)
In Treue Dein
Freund Nietzsche.