1881, Briefe 74–184
132. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Sils-Maria, 21. Juli 1881>
Mir fiel ein, lieber Freund, daß Ihnen an meinem Buche die beständige innerliche Auseinandersetzung mit dem Christenthume fremd, ja peinlich sein muß; es ist aber doch das beste Stück idealen Lebens, welches ich wirklich kennen gelernt habe, von Kindesbeinen an bin ich ihm nachgegangen, in viele Winkel, und ich glaube, ich bin nie in meinem Herzen gegen dasselbe gemein gewesen. Zuletzt bin ich der Nachkomme ganzer Geschlechter von christlichen Geistlichen — vergeben Sie mir diese Beschränktheit! —
Frau Lucca: ein sehr guter Gedanke! Sie kann sprechen und Possen machen. Auch mich hat sie einmal entzückt, vor nunmehr 18 Jahren. Sollte sie jung genug sein? —
Bei der Art, wie Sie Ihre Partitur machen, bin ich voll stiller Hochachtung für Sie und sehe zu, wie ich einem guten Goldschmiede zusehe. Täuschen Sie sich nicht über meine Empfindung!
Hier, auch hier giebt es für mich zu leiden; bisher 4 schwere zwei- oder dreitägige Anfälle. Der Sommer ist für die Engadiner zu heiß; ich wage gar nicht an Venedigs Sommer dabei zu denken.
Hr. Schmeitzner hat vergessen, mir mein Buch zu senden; ich bin seiner satt. (Aber er hat all meine Ersparnisse!)
In treuem Gedenken der Ihre
F. N. in Sils.