1881, Briefe 74–184
112. An Heinrich Köselitz in Venedig (Postkarte)
<Recoaro, 5. Juni 1881>
Lieber Freund, es geht gar nicht gut, — aber ein Gefühl der Herzstärkung ist mir von unserm Zusammensein übrig geblieben, das ich nicht missen möchte! Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Überwindung, nach Recoaro zu gehen und hier so lange auszuhalten. Noch nie gab es für mich einen Mai, der es so sehr gewesen wäre, wie dieser! Es ist so vieles offenbar geworden, und was noch alles von dem alten lieben Köselitzius absconditus an’s Licht hinaus will, das ist gar nicht mehr abzusehen! — Ich träume davon unterwegs. Jeden Nachmittag war ich auf drei Viertel Höhe des Spitz. Veränderte Diät: alle Minestren, Risotti, Macaroni, Polenten abgeschafft! Tagesreglement, nach der Minute abgelebt! Aber elende Kopfschmerzen trotzalledem, Tag für Tag Gewitter oder Gewitter-Umwölkung! Können Sie vielleicht aus einem Reisebuch (Amthor’s Tirol oder „Die deutschen Alpen I“) oder sonsther etwas über Brentonico erfahren? Ist es hoch?
In herzlicher Liebe und Freundschaft Ihr
F.N.