1881, Briefe 74–184
177. An Heinrich Köselitz in Genua (Postkarte)
<Genua, 8. Dezember 1881>
Sehr spät bringt mein Gedächtniß (das mitunter verschüttet ist) heraus, daß es wirklich von Mérimée eine Novelle „Carmen“ giebt, und daß das Schema und der Gedanke und auch die tragische Consequenz dieses Künstlers noch in der Oper fortleben. (Das libretto ist nämlich bewunderungswürdig gut) Ich bin nahe daran zu denken, Carmen sei die beste Oper, die es giebt; und so lange wir leben, wird sie auf allen Repertoiren Europa’s sein.
Herr O. Busse verspricht seine Gedanken über die „Fortpflanzung des Menschen“ zu veröffentlichen (oh ich Unglücklicher! —) einstweilen empfiehlt er in seinem Sendschreiben die Kindes-Aussetzung nach Art der Spartaner. Ich finde das Wort und das Gefühl nicht, um ihm zu antworten.
Eine lateinische Abhandlung über Epicur will mir gewidmet sein: bravo!
Ich lebe seltsam, wie auf den Wellenspitzen des Daseins — eine Art fliegender Fisch. Sie sind mir immer gegenwärtig, mein lieber Freund!
F.N.