1884, Briefe 479–567
565. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Nice (France) 21 Dez. 1884.
Meine Lieben,
hier ein Weihnachts-Briefchen! Es ist jammervoll, daß wir nicht hübsch um einen Weihnachts-Baum zusammen stehn — mit Senden von Geschenken geht es nicht, bei solcher Entfernung. Also etwas „Sammt zu einem Jäckchen“ soll meiner lieben Mutter in meinem Namen präsentirt werden; und meinem lieben Lama auch Etwas, schlechterdings, etwas Hübsches, sehr — Hübsches: so verlange ichs hiermit! — Und seien wir alle guter Dinge!
Gestern war ich krank, Abends kam der Brief, der mich besonders dadurch erbaute, daß er nichts von der dummen Schmeitznerei enthielt. Für derartige „Schweigsamkeiten“ habe ich viel Verständniß und Dankbarkeit; man kommt über viele Dinge gar nicht anders weg als daß man nicht mehr daran rührt. Es versteht sich, daß, wenn erst ein definitives Ergebniss vorliegt, ich auch davon wissen will. —
Augenleiden — das ist die nicht verschweigbare Thatsache dieses Winters. Es ist kein Zweifel, daß mein Zimmer im Engadin (ohne Licht, gegen die Felswand hin, Ein kleines Fenster —) die Ursache ist.
Im Übrigen bewährt sich Nizza, im seltsamen Contrast zu Mentone. Ich habe die trockensten Climata nöthig, um mich wohl zu fühlen und geistig hell und heiter zu sein. Die außerordentliche Luft-Trockenheit ist es, was Nizza an dieser ganzen Küste, und was das Engadin wieder in der ganzen Schweiz auszeichnet. Damit hängt wieder die Menge Helligkeit und Reinheit des Himmels zusammen.
In der Pension geht es, Dank meiner „Nachsicht“ und „Bescheidenheit“ („Leutseligkeit“ ist das Richtigere.) General Simon ist auch wieder da. —
Jeden Morgen wird etwas eingeheizt. Der Magen hat sich wieder verbessert, die Küche ist sehr nach seinem Bedürfnisse eingerichtet.
Lanzky ist mir nicht lustig genug. Aber er giebt sich große Mühe um mich und hält es aus, daß ich ohne Grobheit es mitunter nicht aushalte. —
Nun aber sagen die Augen: „Genug!“
Euch mit Liebe grüßend und umarmend
Euer
Prinz Friedrich.
Ich bitte, Lanzky’s wegen, um Rohde’s Broschüre über die Geburt der Tragödie (braun Leder gebunden), dann den Aufsatz über Homer, endlich ein gebundenes Schreibheft, röthlich-violett, Quartformat, vollgeschrieben, dick — ich habe es das letzte Mal vergessen, einzupacken. Damals war es in der Stube an der Treppe, lag in einem Korbe? zwischen andern Büchern und grauen Schreibbüchern. Auf der letzten Seite steht, glaube ich, „böse Weisheit“ oder Etwas Ähnliches. Viele Sentenzen.
Ich sende einen Aufsatz Lanzky’s über mich, nicht weil ich ihn zu loben hätte, sondern weil es der erste größere Essay über mich ist. Daß er in einem ungarischen Winkelblatt gedruckt ist, gehört unter die Rubrik der Dummheit und Ungeschicklichkeit meines Herrn Verlegers. —
F.N.
Und mag das neue Jahr alles Gute und Erwünschte bringen, eingerechnet den Erwünschten!
Von Herzen
Euer F.