1884, Briefe 479–567
552. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Zürich, 4./5. November 1884>
Meine Lieben,
allerschönsten Dank für Eure Briefe! Den Freitag geht es fort, und zwar über Genua nach Mentone (— das soll viel stiller sein als Nizza und auch eine achtungswürdigere Menschheit beherbergen — ich wills versuchen!) Nun ist die Ferien-Zeit für mich vorbei, und ich denke, ich habe darin Kräfte neu gesammelt und gespart, um nun wieder an meine Aufgaben gehn zu dürfen. Nicht ohne Furcht und Schauder — aber es muß sein. — In Hinsicht auf die angedeutete Bestimmung des Winters will ich mit der Schmeitzner-Angelegenheit nichts zu thun haben. Andererseits liegt mir daran, daß meine Schriften so schnell wie möglich aus seinen Händen kommen; und insofern eine jetzt angekündigte Klage ihn zum Verkauf der Schriften drängt, so soll es mir recht sein, wenn unser Onkel sofort die nöthigen Schritte thut. Auf den inzwischen eingelaufenen Brief Sch<meitzner>s will ich nicht antworten, er hat gar nichts von dem gethan, was ich forderte und nicht einmal eine Abrechnung geschickt, sondern mich bis aufs neue Jahr vertröstet. — Ich möchte, daß man Schmeitznern andeutete, er solle beim Verkauf der Schriften — z. B. an den Berliner Verleger Oppenheim (den Verleger Karl Hillebrandt’s und Frl. Druscowicz) denken. Hillebrandt ist nun todt — der Einzige, der bisher Etwas für mein Bekanntwerden gethan hat! In dem Necrolog der Frankfurter Zt. wird es ihm zur Ehre angerechnet, daß er für mich eingetreten sei („Nietzsche, den man in Deutschland, weil er mit offenem Visir und mit unerschrockenem Muthe hervortrat, verketzert hat“). — Ich habe gar nichts von Schmeitzner’s Briefen, Abrechnungen usw. mehr in den Händen — schlimm! —
Köselitzen habe ich schönstens einquartirt (ins gleiche Haus, wo Helene Druscowicz mit ihrer Mutter wohnt) und auch überredet, seine Mittags-Mahlzeit zusammen mit Frl. Willdenow, Frl. Blum, Miss Currel und anderen weiblichen Bekannten einzunehmen — zu seinem Besten, denn er hat gar zu plebejische Sitten, und Niemand kann mir’s genug nachrechnen, was für Überwindung mich der Verkehr mit diesem schwerfälligen Körper und Geiste kostet. Das Klavierspiel Eugen d’Alberts und Freunds hat mich übrigens inzwischen so verwöhnt, daß ich meinen alten Freund Köselitz nicht mehr spielen hören kann! — Viele neue Menschen; man will mich durchaus mit dem Thiermaler Koller bekannt machen, ebenso mit Böcklin, der sich hier angekauft hat; auch eine Einladung auf eine artige Sommer-Villeggiatura gab es. — Der „Ceremonienmeister“ fehlt: — Frau Köckert scheint über denselben nachzudenken. Herrliches Wetter!
Treulich Euer
F.
(Hemd wird gezeichnet.)
Wetter unglaublich schön bisher! Adresse: Pension des Etrangers
Mentone (France)