1884, Briefe 479–567
497. An Franz Overbeck in Basel
<Nizza, 28. März 1884>
Mein lieber alter Freund Overbeck, die Angelegenheit unseres Venediger maëstro steht nicht mehr auf den Füßen des letzten Briefes, den ich Dir sandte: der damalige Plan ist ihm von Sachverständigen ausgeredet worden: — jetzt will er sich mit der Verlagshandlung Lucca in Mailand einlassen, ganz in der Art, wie es die italiänischen Opern-componisten machen, um ihr Werk zur Aufführung zu bringen. Alles Genauere mag Dir der beiliegende Brief andeuten; in dem auch äusserst anziehende Worte über seine Nausicaa-Conception stehn. Er hat Tiefe und Kraft, unser Freund — und er darf sich, nach seiner Gesundheit, lange Ziele vorsetzen.
Deine Bemerkung, daß Du „ansehnlich magerer“ geworden bist, hat mir zum Bewußtsein gebracht, daß ganz Dasselbe auch in Bezug auf meine Leiblichkeit geschehn ist. Wir — arbeiten zu viel: da steckt wahrscheinlich der Grund, warum unsere Maschine ihren periodischen Knacks haben muß. Mir fiel dieser Tage ein, daß ich in drei Jahren „die Morgenröthe“, „die fröhliche Wissenschaft“ und den „Zarathustra“ gemacht habe: in Anbetracht, daß diese Litteratur unter den Begriff „Liebigscher Fleischextract“ gehört, darf ich mich über meine „Gesundheit“ nicht verdrießen — eher verwundern! Und ganz so steht es mit Deiner ungeheuren Arbeitsamkeit.
Nizza halte ich fest: es ist klimatisch mein „gelobtes Land“. Nur muß man hier tüchtig essen und nicht à la Cornaro leben.
Wo ich die nächste Zeit sein werde, weiß ich heute noch nicht: die Druck-Angelegenheit zwingt mich, noch Etwas hier auszuhalten, wo es schon viel zu hell für meine Augen geworden ist. (Beiläufig: meine Halb-Blindheit hat mir hier viel Theilnahme und sogar briefliche und mündliche Hülfe-Anerbieten verschafft. Es steht schlimm.)
Dir und Deiner lieben Frau die Versicherung meiner treuen Freundschaft.
F.N.
Ich habe keine Quittungs-Formulare mehr — oder weiß sie nicht zu finden. Verzeihung!