1884, Briefe 479–567
561. An Resa von Schirnhofer in Paris
<Mentone, Ende November 1884>(Adresse: Nice, France pension de Genève)
Mein liebes Fräulein Resa,
es stand inzwischen, seit meiner Abreise von Zürich, erbärmlich mit mir; ein versuchter Zwischen-Aufenthalt in Mentone ist mir ganz und gar mißrathen — ich vermisse hier die anregende Gewalt des Nizzaer Klima’s und verstehe nicht recht, warum sie hier fehlt. Die Landschaft ist ersten Ranges — feine und kühne Linien, wie vom Maler ausgedacht. Auch ist es still, viel achtbarer als in Nizza — und trotzalledem, es geht nicht!
Denken Sie: inzwischen hat Herr Lanzky in der dortigen Pension de Genève auf mich gewartet — ich hörte es zwei Tage zu spät. Dann ist er nach Ajaccio abgereist, einen rührenden Brief an mich zurück lassend.
Ah diese dummen Augen! — Nun darf ich schon nicht mehr schreiben! Es steht jetzt schlimmer damit als die letzten Jahre. Ich habe zu viel diesen Sommer gearbeitet.
Lob, Ehr’ und Preis für Alles, was Sie über Ihre Pariser Menschen- und Studien-Einrichtung melden! Auch daß Ihnen alles „Monodische“ so gut gefällt! Es sind feinere, höhere Menschen: da soll es wohl schöne und ausgesuchte Kinder abgeben! —
Und Malvida krank? Wie gerne wäre ich bei ihr in Versailles!
Machen Sie um meinetwillen, wenn ich bitten darf, die Bekanntschaft von Saint-Germain-en-Laye: mein Zukunfts-Ort für stilles Arbeiten und Herumstreifen durch Wälder.
Und St. Cloud? —
Sie wissen, im Grunde bin ich den Franzosen (nicht gerade den Parisern!) „guter“ als den Deutschen. Namentlich jetzt!
Geht die Welt nicht schief und schiefer?
Alle Christen treiben Schacher,
Die Franzosen werden tiefer, —
Und die Deutschen — täglich flacher.
Herzlich zugethan Ihr
N.