1884, Briefe 479–567
537. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Sils Freitag. <20. September 1884>
Meine liebe Mutter,
zum Glück bin ich noch hier; meine Entscheidung in Betreff einer Zusammenkunft mit meiner Schwester wird in ihren Händen sein. In Rücksicht auf Deine Cholera-Besorgnisse habe ich nicht Lugano gewählt: was „die Teilsplatte“ betrifft, so ist sie zu nahe an der Eisenbahn, um für mich ein erträgliches Ruhequartier abzugeben. Im Oktober Bäder im Vierwaldstätter See zu nehmen ist wohl kaum im Ernst gemeint gewesen.
Also Zürich, Pension Neptun, ein gutes bekanntes Haus: ich habe bereits eine Notiz dahin abgehen lassen, an General Simon, der gerade dort ist (derselbe hat in Nizza mir in manchen praktischen Dingen geholfen, wo es mir selber schwer war, das Praktische zu finden — ein gutmüthiger, stiller, trockner und äußerst zuverlässiger alter Herr, über den vielleicht Dr. Ziller Dir Auskunft geben kann)
Für den Fall, daß meine Schwester mir eine besondere Gefälligkeit erweisen will, würde ich sie ersuchen, mir Etwas mitzubringen, nämlich
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eins von meinen alten Nachthemden
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ein Paar dünne weiße Strümpfe (von den alten) von wegen zu enger Stiefeln
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ein Buch, das letzte, das Jacobi für mich eingebunden hat, daran erkenntlich, daß die Ränder nicht über den Schnitt hinausragen: heißt Arnobius, deutsch, altes gelbliches Papier darin. Ein Kirchenvater
4.) ein zweites Buch, nämlich der erste Band meines dreibändigen deutschen Montaigne (steht im Kabinett unter den guten Büchern, ein alter Schmöcker
Ich selber will am 24. Sept. früh hier abreisen und werde am 25. Vormittags in Zürich sein. Nach eben getroffener Verabredung werde ich wahrscheinlich von zwei Gelehrten bis dahin begleitet, von Prof. Leskien aus Leipzig und Dr. Brockhaus: sehr zu meiner Beruhigung, denn Alleinreisen ist nachgerade für mich eine nicht ungefährliche und mich unbeschreiblich aufregende Sache.
Die Augen immer mehr verdunkelt. —
Möge die Zusammenkunft einen guten Ausgang haben, und namentlich nicht noch neues Unheil aus ihr wachsen!
Bei dem Wort „höchst wichtig für mich“ kann ich mir gar nichts mehr denken.
Herzlich grüßend
Dein Sohn.