1884, Briefe 479–567
541. An Heinrich Köselitz in Annaberg
Mittwoch,Zürich, Pension Neptun.<8. Oktober 1884>
Lieber Freund,
man verspricht mir, daß Ende nächster Woche die Orchesterstimmen der Löwen-Ouvertüre fertig abgeschrieben sind — und dann wird es, vor einem einzigen Zuhörer, nämlich vor mir, eine Aufführung derselben in der Tonhalle geben. Mehr — habe ich bis jetzt nicht erreicht. Vielleicht, daß ein Intimwerden des Dirigenten mit derselben uns einen Schritt weiter bringt. — Wie schwer und absurd „aller Anfang“ ist! — Seien wir guter Dinge!
Übrigens ist Hegar ein vorzüglicher Dirigent — die Art, wie er gestern seinem Orchester eine Beethoven’sche Ouvertüre in’s Gefühl und „Gewissen“ schob, hat mir ganz und gar imponirt. Es giebt zwischen uns eine vollkommene Ehrlichkeit. —
Er machte mir zu Liebe die Arlésienne; das Adagietto klingt ganz sublim.
Von Ihnen, als dem Urheber der Partitur, vermuthet er immer wieder, Sie müßten Kapellmeister beim Militär sein oder in einer kleinen Stadt, — Sie hätten so wenig Zutrauen zu den Geigen, und wollten Alles blasen machen. Natürlich schweige ich über alles Persönliche, die Stimmen sollen nicht einmal Ihren Pseudo-Namen tragen. —
Verfluchte Akustik der Tonhalle!
Ganz von Herzen grüßend
Ihr N.
So steht es „in den Sternen“ geschrieben, daß ich Ihr erster Hörer bin! — und nicht einmal Sie - - -?