1884, Briefe 479–567
479. An Ernst Schmeitzner in Chemnitz
<Nizza, 18. Januar 1884>
Mein werther Herr Verleger
eine gute Nachricht! Oder vielmehr die Beste, die es, von mir aus gesehn, geben kann: mein Zarathustra ist fertig: — es bedarf der Abschrift — es bedarf des Drucks. Ich hatte im vergangenen Jahr nicht daran mehr gedacht, daß die ungeheure Sache, den Schluß zu diesen beiden ersten Theilen zu finden, mir schon in diesem Winter (in ein paar Wochen, die Wahrheit zu sagen —) gelingen werde. Ich bin glücklich und, wie schon oft in meinem Leben, von mir selber über mich selber „überrascht“.
Die Vehemenz des Gefühls bei solchen Dingen ist übrigens so groß, daß man wie ein gläsernes Gefäß auf Ein Mal dabei springen kann: und bevor dieser dritte und letzte Theil nicht gedruckt vor mir liegt, und ich von dieser Vehemenz täglich und nächtlich gequält bin, ist die Gefahr keine geringe.
Erlösen Sie mich also wenigstens mit dem vorläufigen Versprechen, daß Sie, lieber und werther Herr Schmeitzner, Alles thun werden, den Druck zu beschleunigen. —
Dieser dritte Akt meines Dramas (besser sollte ich vom Finale meiner Symphonie reden) ist dem Umfange nach (nach ziemlich genauer Schätzung) so lang wie der zweite dh. gegen 100 Druckseiten, eher weniger als mehr.
Der Inhalt enthält mancherlei „Unglaubliches“ — sehen wir zu, wie es mit der deutschen „Pressfreiheit“ bestellt ist! Zuletzt: kann man denn „Dichtungen“ verbieten? —
Mit der Bitte, mir schnell zu antworten und in allem Übrigen Ihnen zugethan und das Beste wünschend
Nietzsche
Nizza (France), pension de Genève petite rue St. Etienne