1869, Briefe 1–633
44. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Basel, zwischen dem 23. und 29. November 1869>
Nun, bekomme ich denn gar kein Briefchen mehr von Dir? Und es wäre mir dies doch so wünschenswerth, ja nothwendig, da ich gar nicht weiß, womit ich Lisbeth eine weihnachtliche Freude machen könnte. Nur nicht wieder so einen Operngucker-gedanken! Und es wird doch wohl hübscher sein, wenn ich Euch von hier aus ein Kistchen schicke: erhöht es doch jedenfalls das Gefühl der Nähe und Zugehörigkeit trotz räumlicher Entfernung.
Dies das Eine. Sodann bitte Lisbeth, daß sie mir sofort meine Rede über Homer zurückbesorgt: -wahrscheinlich ist sie nach Pforta verliehen, aber dort denkt niemand an pünktliche Zurückgabe. Da ich sie höchst dringlich brauche, so mag Lisbeth doch sogleich die nöthigen Schritte thun.
Viel, viel Arbeit giebt es. Aber sie trägt sich besser als im schwülen Sommer.
Von Geselligkeit aber finde ich jetzt noch weniger als im vergangnen halben Jahr. Und dabei merke ich, wie wenig ich sie brauche.
Zu Gustav’s Geburtstag habe ich geschrieben. Übrigens komme ich nicht sobald wieder nach Naumburg. Denn wir können uns anderswo noch vergnüglicher zusammenfühlen als gerade dort. Darum denke ich, daß Du für nächstes Jahr recht ernstlich und von vorn herein die Reisegedanken in Erwägung ziehst. Auch Wenkel kann einmal eine Schweizerreise machen.
Ist denn Lisbeth schon bei Ritschl’s in Leipzig gewesen? Daß der alte Ritschl für Romundt so schön gesorgt hat und wirklich wohl nur aus Liebe zu mir, ist geradezu rührend.
Nun schreibe mir bald einmal einen Deiner schönen Riesenbriefe: denn wenn Ihr mir nicht schreibt, gewöhne ich mich ganz daran, mich als Einsiedler zu fühlen. Meine Wintergenüsse habe ich am Schluß meines letzten Briefes aufgeführt: was habt Ihr denn im schäbig-noblen Naumburg? Hier giebt es Conzerte und Theater und öffentliche Vorträge in Hülle und Fülle: doch bin ich zu aristokratisch geworden, um mich an diesen Scherzen erbauen zu können. Wie man sich verwandelt!
Ei über diese Erziehung!!
Der alte Sohn,
der immer „älter“ wird.