1869, Briefe 1–633
43. An Friedrich Ritschl in Leipzig
<Basel, kurz nach dem 23. November 1869>
Verehrtester Herr Geheimrath,
um zuerst auf Ihre letzte Zuschrift mit der wohlberechtigten Mahnung zu antworten, so denke ich daß jetzt endlich an dem Register gedruckt wird: gestern morgen wenigstens sind 5 dicke Hefte an Klette nach Bonn abgegangen. Das Wintersemester, im Speziellen die lateinische Grammatik hatte mich verführt, das letzte Heft des 24ten Bandes immer wieder bei Seite zu schieben. Meine Zuhörer nämlich, acht Mann hoch, verlangten von mir unisono, lateinische Grammatik zu hören. Ich gehorchte, einmal aus „Realpolitik“, andernseits, weil ich auch so recht viel in diesem Winter lerne. Mögen mir die Dämonen der lateinischen Grammatik gnädig beistehn! Sie wissen, wen ich anrufe.
Nun das Zweite, doch nicht τὸ δεύτερον.
Daß Sie so hülfreich und freundlich an Romundt gedacht haben, hat mich ordentlich in Rührung gebracht, und er selbst kann es Ihnen nicht mehr danken als ich es thue. Dies ist die erste glückliche Hand, die den guten und begabten Menschen am Schöpfe faßt. Er hat mir zwei lange und glückliche Briefe geschrieben und läßt einstweilen durch mich Ihnen seine treueste Ergebenheit und Dankbarkeit ausdrücken. Natürlich möchte er gar zu gerne zugreifen: sein einziges Bedenken ist, daß er sich zum Staatsexamen gemeldet hat und, ich glaube zum Januar, auch citirt ist. Mit anderen Worten: wenn er jene Stellung mit dem Januar erst antreten dürfte, so wäre ihm dies das Erwünschteste.
Doch meine ich, daß er auch dann bereit sein würde, wenn die Stelle sofort besetzt werden müßte.
Er würde dann genöthigt sein, seine Abhandlung über das gestellte Thema (den langweiligen Gottesbegriff Platos) neben seinen Berufsgeschäften auszuarbeiten.
Unter allen Umständen: er muß die Stellung annehmen. Ich darf ihm doch wohl schreiben, daß er sich Ihnen und Herrn Czermak persönlich vorstellen soll: zumal da er in Leipzig wohnt, Universitätsstr. 19, im Hofe, 3 Treppen.
Von Engelmann keine Notiz: Beweis, daß er auf die Proposition eingeht. (Aus analogen Fällen zu schließen!)
Mit den besten Empfehlungen an die verehrten Ihrigen
Ihr getreuer
F. Nietzsche
Ich sollte nicht vergessen haben, Ihnen für Brief und Rathschläge recht zu danken. Übrigens bin ich in Allem Ihrer Meinung: es war thöricht, nur an das „Miscellenbuch“ zu denken. Aber es wird so viel gedruckt, daß ich mich nächstens schäme.