1869, Briefe 1–633
21. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Badenweiler,> 15 Aug. 1869.
Liebe Mutter,
ich glaube gar, ich habe seit einem Monat nicht geschrieben: leider hat aber auch die böse Post Deinen Brief an mich unterschlagen, so daß wir gegenseitig ohne alle Nachricht wären, wenn nicht Lisbeth die Vermittlerin gespielt hätte. Diese wird Dir denn erzählt haben, daß ich eine kurze Zeit in Interlaken gewesen bin; heute nun ist schon der letzte Tag der Ferien herangekommen, und ich werde in meinen Empfindungen zum ersten Male wieder an die Schülerempfindungen erinnert, denen dieser letzte Ferientag einen bitterherben Beigeschmack hat. Hoffentlich aber verlebe ich meine nächsten Ferien vergnügter und auch geselliger als diese: da Ihr, wie ich zu meinem Vergnügen höre, an Eurem Reiseplan fest haltet. Und das mit Recht!
Versichere mich doch, daß Wenkel meinen Brief aus Interlaken bekommen hat. Ich bin etwas auf die dortige Post mißtrauisch. Auch habe ich an Schenk’s nach Weimar, sowie an Bernhard nach Sangerhausen geschrieben: und glaube damit recht gethan zu haben.
Mit Gustav Krug gieng es mir eigen; ich bekam nämlich von ihm einen ersten Brief, als ich eben meinen ersten Brief an ihn abgesandt hatte.
Einige schöne Tage der Ferien habe ich in Tribschen bei Richard Wagner verlebt.
Wie mir Lisbeth schreibt, hat Ritschl in Leipzig einen Brief aus Basel, in dem man mit mir seine Zufriedenheit erklärt. Dies ist mir recht.
Heute Abend nun geht es wieder heimwärts und morgen früh in Universität und Schule.
Um diese Zeit ist Naumburg am hübschesten. Ich verdenke Dir es nicht, daß Du jetzt wieder dort bist.
Ich erwarte Euren Besuch für die zweite Hälfte des September und die erste Zeit des Oktober. Ich denke, wir verleben die Zeit am idealisch schönen Genfersee, in einer mir gut empfohlnen Pension (Pension Hautrive in Vernex / bei Montreux)
Herzlichsten Gruß von
Deinem Sohn
F.