1869, Briefe 1–633
14. An Elisabeth Nietzsche in Leipzig
<Basel,> am 9t. Juli 1869.
Liebe Lisbeth,
Das ist Recht, daß Du den feierlichen Tag Deines Geburtstags in Naumburg verbringst, wo Du doch sicher bist vor den etwaigen Launen und unwirschem Mienenspiel der Frau Biedermann. Nur hätte ich aus allen möglichen Gründen gewünscht dies etwas eher zu erfahren, als heute dh. Freitag Vormittag. Ein Brief meinerseits wird Dich ja noch, wie ich hoffe, am Sonnabend in Naumburg erreichen: aber der bewußte Wunschzettel ist leider zu spät nach Basel gelangt, um eine Sendung von hier aus zu ermöglichen. So wird es denn wohl das Beste sein, wenn ich hindeute auf eine Nachfeier des berühmten Geburtstages, wie sie noch im Verlauf des Jahres an Ort und Stelle und möglichst solenn arrangirt werden soll. Inzwischen wünsche ich Dich durch einen Operngucker daran zu erinnern, daß man die Scenerie des Wilhelm Teil von Rossini nirgends schöner und naturwahrer sieht als am Vierwaldstätter See, besonders wenn man in Begleitung seines Bruders, des freien Schweizers, sich Land und Leute vorstellen läßt. Eine andre Art von Opernaufführungen kann ich Dir leider an dem hiesigen den Theatergrazien feindseligen Orte nicht anbieten.
Unsre Mutter freilich hat gegen den Operngucker einiges einzuwenden, vornehmlich daß Du „menschlichen Ansichten nach“, nie wieder so oft ins Theater kommen würdest, wie dies in Leipzig der Fall gewesen sei. Ich habe dagegen die nun freilich „unmenschliche“ Ansicht, daß Du mich nicht ewig in Basel zu besuchen haben wirst, sondern, irgendwann einmal, in einer civilisirteren Stätte, die meinem Besuche auch ein Theater offerieren kann. Dies ist übrigens nur eine von verschiedenen unmenschlichen Ansichten: wie wäre es zB. wenn Du das neue Lebensjahr, das sich Dir öffnet, zu einer „Veränderung“ benutztest, die schließlich selbst von unsrer Mutter nicht als eine unmenschliche bezeichnet werden würde: höchstens würde sie sich unmenschlich freuen, desgleichen der ferne Bruder, der mit dieser Äußerung gewinkt haben will, nicht mit dem Zaunpfahl, aber mit dem Operngucker.
Und so lebe wohl und immer wohler und behalte in gutem Angedenken
den heftig gratu-
lierenden Schweizer
FN.