1869, Briefe 1–633
37. An Wilhelmine Oehler in Merseburg
Naumburg am 18 Okt. 1869.
Liebe und verehrte Großmama,
heute Mittag geht mein kurzer Aufenthalt in der Heimat zu Ende: er war so arbeitsam und vielgeschäftig, daß ich selbst an Ort und Stelle fast keinen Besuch machen konnte, geschweige, daß es mir möglich gewesen wäre, Dir persönlich meinen allerbesten Dank für die liebenswürdigen Aufmerksamkeiten an meinem Geburtstage abzustatten. Dies nun wenigstens brieflich zu thun, soll mir noch diese letzte Stunde dienen, zugleich um Dir meinen herzlichen Wunsch auszudrücken, daß ich noch recht lange von Deiner warmen wohlwollenden Gesinnung für mich und von Deinem behaglichen gesunden und heiteren Leben im Kreise Deiner Kinder zu hören bekomme.
Für mich hat die Sommerzeit des Lebens, eine ernst angreifende Berufsthätigkeit, etwas früh begonnen; aber jetzt, wo ich auf das eben vollendete erste Halbjahr zurückblicke, darf ich wohl mit Vergnügen empfinden, daß diese Thätigkeit für mich wie ausgesucht ist und sich ungezwungen meinen Studien, Neigungen und Kräften anfügt. Es ist immer ein seltenes Glück, in seinem Elemente schwimmen zu dürfen.
Mit dem nochmaligen Ausdrucke meiner dankbaren Empfindung, zugleich auch für meine lieben Verwandten, die an meinen Lebenswegen so schätzenswerthen Antheil nehmen, endige ich als
Dein treulich ergebener Enkel
Dr Friedr Nietzsche
Professor in Basel.