1882, Briefe 185–366
358. An Malwida von Meysenbug in Rom (Fragment)
<Rapallo, Mitte Dezember 1882>
Meine liebe verehrte Freundin,
Wie gieng es doch zu? Aber als ich Ihren Brief gelesen hatte, brach ich in Thränen aus. — Doch ich wollte heute nicht von mir sprechen.
Sie wollten wissen, was ich über Fräulein Salomé denke? — Meine Schwester betrachtet Lou als ein giftiges Gewürm, welches man um jeden Preis vernichten müßte — und handelt auch darnach. Das ist mir nun ein ganz übertriebener Gesichtspunkt und meinem Herzen durchaus zuwider. Im Gegentheil: ich möchte nichts mehr als ihr nützlich und förderlich sein, im höchsten und im bescheidensten Sinne des Worts. Ob ich das kann, ob ich’s bisher gekonnt habe, ist freilich eine Frage, auf die ich nicht antworten möchte: bemüht darum habe ich mich redlich. Für meine „Interessen“ ist sie bis jetzt wenig zugänglich gewesen; ich selber bin ihr (wie mir scheint) eher etwas überflüssig als interessant: das Zeichen eines guten Geschmacks! Es ist Vieles an Ihr anders als bei Ihnen — und auch bei mir; es drückt sich naiv aus und ist in dieser Naivetät für den Menschen-Beobachter voller Reiz. Ihre Klugheit ist außerordentlich: Rée meint, Lou und ich seien die klügsten Wesen — woraus Sie sehen, daß Rée ein Schmeichler ist.
Die Familie Rée nimmt sich auf die angenehmste Weise des jungen Mädchens an; und Paul R<ée> ist auch hier wieder das Muster der Delicatesse und Fürsorglichkeit.
Meine liebe verehrte Freundin, vielleicht wollten Sie etwas Anderes von mir über L<ou> hören: und wenn ich Sie wiedersehen werde, sollen Sie auch Anderes von mir hören. Aber schreiben? Nein. —
Aber ich bitte Sie aus ganzem Herzen, die Empfindung einer zärtlichen Theilnahme, welche Sie für L<ou> gehabt haben, ihr zu bewahren — ja, mehr zu thun! Aber worin dies <mehr besteht,> darüber kann ich <nicht schreiben.>
[ + + + ] Einsame Menschen leiden fürchterlich an Erinnerungen.
Beunruhigen Sie sich nicht — im Grunde bin ich Soldat und sogar eine Art „Tausendkünstler der Selbst-Überwindung“. (So nannte mich kürzlich Freund Rohde, zu meinem Erstaunen)
Liebe Freundin, giebt es denn nicht irgend einen Menschen auf der Welt, der mich liebt? — —
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