1882, Briefe 185–366
303. An Paul Rée in Stibbe
<Leipzig, vermutlich 15. September 1882>
Mein lieber Freund,
ich bin der Meinung, daß wir Beide und wir Drei klug genug sind, um uns gut zu sein und zu bleiben. In diesem Leben, wo Menschen wie wir so leicht zu Gespenstern werden, vor denen man sich fürchtet, wollen wir uns an einander freuen und uns Freude zu machen suchen; und wollen darin erfindsam werden — ich für meinen Theil muß darin sehr nachlernen, da ich ein isolirtes Ungeheuer war.
Meine Schwester hat inzwischen die Feindseligkeit ihrer Natur, die sie gewöhnlich gegen ihre Mutter ausläßt, mit aller Kraft gegen mich gekehrt und sich förmlich von mir gelöst, in einem Briefe an meine Mutter, aus Abscheu vor meiner Philosophie, und „weil ich das Böse liebe, sie aber das Gute“ und dergleichen Tollheit. Mich selber hat sie mit Spott und Hohn überschüttet — nun, die Wahrheit ist, ich bin gegen sie mein Leben lang geduldig und milde gewesen, wie ich es nun einmal gegen dies Geschlecht sein muß: und das hat sie vielleicht verwöhnt. „Auch die Tugenden werden bestraft“ — sagte der weise Sanctus Januarius von Genua.
Morgen schreibe ich an unsre liebe Lou, meine Schwester (nachdem ich die natürliche Schwester verloren habe, muß mir schon eine übernatürliche Schwester geschenkt werden.) Und Anfangs Oktober auf Wiedersehen in Leipzig! Ihr
Freund F.N.
Auenstr. 26, 2 Etage.